500 Jahre nach der Reformation

Stadtarchivar Hartmut Blaum referiert in der Christuskirche über Martin Luther

ÜBER DIE POLITISCHEN VORAUSSETZUNGEN der Reformation berichtete Hartmut Blaum im Gemeindesaal der Christuskirchengemeinde. (Foto: Scherer)

Kelsterbach. „Ich werde Sie eine Stunde lang traktieren“, kündigte Hartmut Blaum zu Beginn seines Vortrags an. Jede Menge Namen, Daten und Hintergrundinformationen zur Reformation hatte der Stadtarchivar zusammengetragen und präsentierte diese unter der Überschrift „...dann hätte es die Reformation so nie gegeben!“ vor rund 20 Zuhörern im Gemeindesaal der Christuskirche. Musikalisch umrahmt wurde die erste Veranstaltung in Kelsterbach zum Reformationsjahr von Pfarrer Nicolay Kopf (Cello) und Young Min Lee (Violine).

Die Buchhandlungen, so Blaum, seien derzeit gut gefüllt zum Thema Martin Luther. Kein Wunder, feiert doch in diesem Jahr die evangelische Kirche 500 Jahre Reformation, beruhend auf der Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen. Dem Mythos des Anschlagens der Thesen mit Hammer und Nägeln an die Tür der Wittenberger Schlosskirche am 31. Oktober 1517 erteilte Blaum eine Absage.
Über den in Eisleben geborene Augustinermönch Martin Luther (1483–1546) gebe es viele Legenden, so Blaum. Neben der vom nächtlichen Wurf mit dem Tintenfass, um Satan höchstpersönlich aus seinem Studierzimmer zu vertreiben, ist die vom Thesenanschlag eine weitere. Fakt sei, dass Luther als Doktor der Theologie in Wittenberg seine Thesen in den akademischen Diskurs eingebracht habe.
Eine Voraussetzung für die Reformation war laut Blaum der sich von Italien her ausbreitende Humanismus, durch den man antike und mittelalterliche Denker wiederentdeckte und die Originalquellen studierte. Schon rund 200 Jahre vor Luther galten Theologen wie Jan Hus und John Wyclif als Reformatoren, ihre Schriften verbreiteten sich durch den Buchdruck – eine weitere Erfindung, die zum Erfolg der Reformation beitrug, da so ihre Anhänger die Schriften schneller verbreiten konnten.
Politischer Faktor für das Gelingen der Reformation war laut Blaum, dass das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen aus vielen kleinen Territorien bestand und Kaiser Karl V. mit außenpolitischen Verstrickungen statt den innenpolitischen Umwälzungen beschäftigt war. Weitere Voraussetzungen waren Hungersnöte, die zu Bauernaufständen führten, sowie das Bevölkerungswachstum in den Städten, wo sich eine neue Oberschicht bildete, die über viel Geld verfügte und mobil war. 
Hinzu kam die Ausbildung der Landesherren sowie der Landeskirchen. Laut Blaum verfing bei den Landesherren vor allem die Kritik Luthers am Ablasshandel der katholischen Kirche. Auch die Landesherren wollten nicht, dass ihr Geld nach Rom floss. Bedingt durch die Ausbreitung kam es dann zur Kirchenspaltung, die Luther gar nicht gewollt habe.
In Hessen hatte Landgraf Philipp von Hessen die Reformation 1526 in seinen Gebieten eingeführt – aus persönlicher Überzeugung, aber auch, um seine politische Macht zu stärken. 40 Klöster ließ er auflösen, mit den Kircheneinnahmen wurden Krankenhäuser unterstützt, Gottesdienste wurden nicht mehr auf Latein, sondern in deutscher Sprache gehalten. Zwar unterlag Philipp im Schmalkaldischen Krieg 1546 dem Kaiser Karl, doch die Reformation war nicht mehr aufzuhalten. 
In Kelsterbach wurde unter Graf Wolfgang Ernst, dem Erbauer der Wolfenburg, zunächst die reformierte Lehre nach Calvin eingeführt, durch den Verkauf an Hessen-Darmstadt wurde es dann wieder lutherisch. Der einstige Kirchennachbar Schwanheim blieb als Besitz des Erzbistums Mainz katholisch. 1564 wurde Kelsterbach kirchlich selbstständig. Durch die Glaubensspaltung erhielt Schwanheim eine eigene Kapelle, die Kelsterbacher errichteten in der Dorfmitte den Vorgängerbau der heutigen Sankt Martinskirche. (nad)

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