Mörfelden-Walldorf: Anke Rubien will mit drei Mitstreiterinnen den Ärmelkanal durchschwimmen

Der große Lebenstraum

Motivierende Worte vom Olympiasieger: Gabriele Becker-Hassemer, Judith McCrory und Anke Rubien (von links) lauschen den Tipps von Michael Groß, der das Trio kürzlich am Walldorfer See besuchte. Foto: Krämer

Mörfelden-Walldorf – Einstellige Temperaturen oder das Schwimmen im Freiwasser können Anke Rubien nichts anhaben. Ganz im Gegenteil: Erst dann fühlt sich die Walldorferin ganz in ihrem Element. Seit Dezember 2017 hat sie ihre Leidenschaft als Winter- und Eisschwimmerin entdeckt und erreicht in dieser, für andere wenig behaglichen Sportart bei Wassertemperaturen um die 5 Grad, sogar internationale Erfolge.

So hat sie bei der Weltmeisterschaft 2020 im slowenischen Bled den vierten Platz über 450 Meter in der Altersklasse 55+ erreicht, oder zuletzt 2022 Gold auf 450 Meter und Silber auf 200 Meter Freistil bei den Internationalen Winter-Swimming Meisterschaften geholt.
Da ist es kaum verwundlich, dass die 60-Jährige offen für Neues ist und Herausforderungen nicht scheut. Das kann man mit Fug und Recht behaupten, wenn man ihr aktuelles Projekt kennt: die Durchquerung des Ärmelkanals von Dover nach Calais. Dabei handelt es sich um nichts weniger als einen Lebenstraum der Walldorferin: „Als Freiwasser-Schwimmer stellt man sich ja viele Orte vor, die man durchschwimmen könnte. Da liebäugelt man auch mit dem Ärmelkanal“, sagt Rubien, die sich allerdings nicht alleine kommende Woche in die Fluten stürzen wird.
In einer Vierer-Freistilstaffel wird sie begleitet von ihren beiden Eiswasser-Schwimmkolleginnen aus Frankfurt, Judith McCrory (52) und Gabriele Becker-Hassemer (68). Claire Russel trainierte in Amerika. Die 61-Jährige hat bereits zwei Soloversuche durch den Ärmelkanal hinter sich, der zweite war eine erfolgreiche Durchquerung, zudem hat sie an zwei Staffeln teilgenommen. „Als sie zu uns gestoßen ist, war das das i-Tüpfelchen“, sagt Rubien. „Auf ihrem Rücken habe ich ein Dover-Calais-Tattoo von ihrer Ärmelkanal-Durchquerung entdeckt und wusste, dass ich das auch machen möchte“, sagt sie. 
Seit April 2022 wird trainiert: Sprintintervalle, Ausdauer- aber auch Krafttraining. Dazu gehörte auch eine Woche Trainingscamp in Dover, als etwa 12 bis 14 Grad Wassertemperatur im Ärmelkanal herrschten. Bei dieser Gelegenheit wurde bei der betreuenden „Channel Swimming Association“ auch der Nachweis erbracht, dass jede Einzelne den körperlichen Herausforderungen tatsächlich gewachsen ist.
Ansonsten dient der Walldorfer See als regelmäßig genutzte Trainingsstätte, wo jedoch viel zu warme Temperaturen um die 24 Grad herrschen. „Wir gehen etwa drei bis viermal ins Wasser, schwimmen jeweils eine Stunde, pausieren eine Stunde und dann geht es wieder ins Wasser. So kommt man auf sechs bis sieben Stunden am See“, sagt Rubien, für die die Wassertemperatur ohnehin nicht die Herausforderung ist, als vielmehr der Wellengang. „Jede Welle ist unberechenbar. Das kann man hier nicht trainieren“, sagt die Walldorferin.
Auch Begegnungen mit Quallen könnten durchaus unangenehm werden. Rubien: „Eigentlich sollte die Saison im August zu Ende sein. Ich hoffe, die Quallen wissen das auch“, sagt sie lachend. Beim Trainingscamp in Dover hat sie bereits die Bekanntschaft mit einem Exemplar gemacht und weiß in etwa, was im Fall der Fälle auf sie zukäme. „Es war in etwa vergleichbar mit einem Brennnessel-Schmerz.“
Die Entfernung zwischen Dover und Calais beträgt 32,31 Kilometer – etwa 500 Schiffe queren die Meerenge an einem Tag. Doch aufgrund der Strömung und des Wellengangs wird die Staffel vielmehr eine S-Schleife bis zur französischen Küste schwimmen, wodurch das Quartett auf 40 bis 44 Kilometer kommen wird. Die Wassertemperatur im Ärmelkanal liegt etwa bei 16 Grad, plus minus zwei Grad – angenehme Temperaturen für die Damen, die Mitglieder der Pushkin-Winterschwimmer sind, die sich regelmäßig am Walldorfer See bei eisigen Temperaturen zum Schwimmen treffen.
Los geht es mitten in der Nacht gegen 2.30 Uhr. An welchem Tag die Staffel letztlich startet, hängt jedoch ganz von den Wetterbedingungen ab. Das große Abenteuer verbinden die vier Damen übrigens mit einer Spendenaktion für German Doctors. Ein Verein von Ärzten, der in Krisengebieten oder Entwicklungsländern tätig ist und für den die Medizinerin Gabriele Becker-Hassemer bereits ehrenamtliche Einsätze auf den Philippinen, in Kenia und Bangladesch absolviert hat. Mit „Wir schwimmen für Jhargram“ sammelt die Viererstaffel Geld für den Aufbau einer mobilen Klinik in der ostindischen Stadt. Durch den Verein kam auch der Kontakt zum mehrfachen Olympiasieger und Weltmeister im Schwimmen, Michael Groß, zustande, der Becker-Hassemer, McCrory und Rubien kürzlich am Walldorfer See beim Training besuchte und ihnen für ihr wagemutiges Vorhaben neben einem Motivationsschub einige Tipps mit an die Hand gab.
Rubien peilt mit ihrer Staffel etwa 15 Stunden an. Damit wäre jede Schwimmerin viermal im Einsatz. Die Reihenfolge ist festgelegt und darf nicht verändert werden. Geschwommen wird im Badeanzug. Neoprenanzüge, Flossen oder sonstige Hilfsmittel sind nicht erlaubt. Nach einer Stunde im Ärmelkanal folgt der Wechsel und eine Pause auf einem Boot, das die Schwimmerinnen die ganze Zeit begleiten wird.
Anke Rubien weiß, dass das Salzwasser seine Tücken hat, die Zunge könnte anschwellen, die Achseln beim Schwimmen wundscheuern, der Kreislauf könnte schlappmachen. Daher steht über allem, das Projekt heil zu überstehen. Und im Falle eines Erfolgs würde Rubien sogar über ein eigenes Dover-Calais-Tattoo nachdenken. VON DIRK BEUTEL

Spenden
Unter german-doctors.de/de/sinnvoll-spenden/spendenaktionen/wir-schwimmen-fuer-jhargram#fundraiser_reader sammelt die Viererstaffel Spenden. Rund 14 600 Euro sind bis Redaktionsschluss eingegangen.

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