Er mischte sich ein und nahm Anteil

Ein großer Schriftsteller und ein beliebter Mitbürger – Zum Tode von Peter Härtling

STOLZ präsentierte Peter Härtling 2003 die Urkunde zur Ehrenbürgerschaft, überreicht vom damaligen Bürgermeister Bernhard Brehl. (ake)

Mörfelden-Walldorf. Peter Härtling, renommierter Schriftsteller und Ehrenbürger dieser Stadt, ist tot. Er starb am Montag nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren in Rüsselsheim.

Dass er ein berühmter Mann war, der ein großes literarisches Werk geschaffen hat und mit einer Vielzahl von Auszeichnungen und Preisen bedacht wurde, das wussten seine Mitbürger, erlebten ihn aber bei persönlichen Begegnungen viel eher als einen der ihren: Als freundlichen, bescheidenen und humorvollen Zeitgenossen, der sich gerne in seiner Stadt engagierte.
1966 hatte sich Peter Härtling auf Empfehlung eines Bekannten die gerade gegründete Neutra-Siedlung angeschaut und sich sofort in diese Architektur verliebt. Und so zog er 1967 von Nürtingen, seiner ersten Heimat nach dem Krieg, nach Walldorf. Wobei er dem Begriff „Heimat“, der für ihn allzu belastet war, das Wort „Zuhause“ vorzog. „Einen Rest von Fremde“, wie er sagte, vermochte das Flüchtlingskind in ihm stets zu verspüren.
Aber ein Zuhause, wo die meisten seiner Bücher entstanden, wo er mit seiner Frau Mechthild vier Kinder großzog, das wurde ihm Walldorf im Laufe der Jahre eben doch. Das Haus in der Neutra-Siedlung, wo er auf seiner alten Schreibmaschine klapperte („Ich muss mich beim Schreiben hören.“) und große Literatur schuf, erweiterte sich nach und nach zur Stadt, Türen zu Menschen öffneten sich. 
Härtling interessierte sich für die Waldenser – Flüchtlinge wie er selbst einer war – ebenso wie für die Historie des benachbarten Arbeiterdorfes, beteiligte sich aktiv am Widerstand gegen den Bau der Startbahn West, unterstützte mit einer Patenschaft die Aktion „Stolpersteine gegen das Vergessen“ und setzte sich gleichfalls dafür ein, die Erinnerung an das frühere KZ-Außenlager bei Walldorf wachzuhalten. Er nahm sich Zeit für Projekte mit Schülern, wirkte sechs Jahre als Kirchenvorsteher in Walldorf und beteiligte sich beispielsweise bei „Wort und Musik“ und anderen Lesungen auch stets am kulturellen Leben vor Ort. 
Marianne Scholl vom Heimatverein nannte Peter Härtling folgerichtig einmal in Anlehnung an den Griechen Perikles „einen guten Bürger, der sich einmischt und Anteil nimmt.“
Als ihm 2003 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Mörfelden-Walldorf verliehen wurde, war er sichtlich bewegt und machte deutlich, dass dies in der Tat eine besondere Ehre für ihn war. Jahrelang habe er sich als Wanderer und ungebundener Heimatloser empfunden, in Mörfelden-Walldorf aber sei er hängen geblieben: „Hier halte ich es aus, verbringe die längste Zeit meines Lebens – ich bin kein Wanderer mehr.“
Nicht gefallen hat ihm, dass es spätestens mit dem Bau der Startbahn hier keine Landschaft mehr gab, wie er sie in Nürtingen geschätzt hatte, sondern nur eine von Trassen, Eisenbahn, lärmenden Autobahnen und Startbahnen zerschnittene Gegend. „Mein Ort wurde enger, der schützende Wald verschwand“, sagte er zum Ausbau des Frankfurter Flughafens.
Zuletzt hatte sich Peter Härtling verstärkt mit der voranschreitenden Zeit befasst. „Wenn man 80 Jahre alt wird, merkt man sehr deutlich, dass die Lebenszeit begrenzt ist“, sagte er im Interview mit dem Freitags-Anzeiger anlässlich seines runden Geburtstages. Vier Bücher hatte er in diesem Jahr 2013 veröffentlicht, als „Ausbruch aus dem Rentnerdasein“, beschrieb er das lachend.
Sein Alter hatte er damals auch schon deutlich gespürt. Der Kopf sei zwar noch fit, am restlichen Körper merke er es aber umso deutlicher, bekannte der Schriftsteller. Man wolle noch alles können, müsse aber einsehen, dass es Grenzen gibt, die nicht zu überwinden sind.
„Wir sind traurig darüber, dass unser Ehrenbürger nun nicht mehr seine Stimme für die Menschen in unserer Stadt erheben wird“, schreibt Bürgermeister Heinz-Peter Becker in einem Nachruf – diese Trauer teilen viele mit ihm.
Für Bürger, die ihre Anteilnahme am Tode Peter Härtlings bekunden wollen, liegt im Eingangsfoyer des Rathauses Walldorf das Kondolenzbuch der Stadt Mörfelden-Walldorf aus. Die Trauerfeier mit anschließender Beisetzung findet am kommenden Dienstag, 18. Juli, um 14.30 Uhr auf dem Friedhof in Walldorf statt. (gk)

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