„Ich bin jetzt meine eigene Oldieband“

Bodo Kolbe über 40 Jahre „Mer speele de Bluus“, sein neues Songbuch und den Wert der Sprache

DRUCKFRISCH kann Bodo Kolbe sein Riedblues-Songbuch präsentieren. Erhältlich ist es beim Dickworz Bladde Verlag in der Gerauer Straße 25. (Foto: Keim)

Mörfelden-Walldorf. Wo gerade so gerne über deutsche Kultur und das was sie ausmacht gestritten wird: Ein Stück Mörfelder Musikgeschichte, das heute im gesamten südhessischen Raum unter dem Titel „Riedblues“ als allgemeines Kulturgut angesehen wird, feiert in diesen Tagen Jubiläum – im Herbst 1977 wurde die Platte „Mer speele de Blues“ veröffentlicht.

Sie wurde zwar kein Hit, aber eben ein Klassiker, wie Bodo Kolbe – in Folge dieser Entwicklung gerne als „Vater des Riedblues“ gehandelt – angesichts der digitalen Neuauflage der Platte bereits vor 20 Jahren zurecht vermerkte. Obwohl: Immerhin 10 000 Stück wurden insgesamt auf Vinyl und CD verkauft. „In Österreich wäre das ‚ne Goldene Schallplatte“, meint Kolbe augenzwinkernd, aber doch auch ein bisschen stolz.
Das mit dem 40-jährigen Jubiläum hätte er glatt vergessen, wenn ihn nicht ein aufmerksamer Zeitgenosse darauf angesprochen hätte. Wie es der Zufall will, kommt aber pünktlich zum runden Geburtstag das Bodo-Kolbe-Songbuch heraus, das – man ahnt es – den Titel „Riedblues“ trägt.
Zum Nachspielen, oder für Fans vielleicht auch einfach nur zum Nachlesen, finden sich darin all die schönen Klassiker wie B 44, Biibaa Blues, der Vorm-Door-Steher-Rag oder eben der Titelsong, mit Noten, Tabulatur und Texten. Außer von „Mer speele de Blues“ enthält das Heft auch Lieder von „Uff Deiwel kumm raus“, „Bulldog Bluus“ und „King Kong und der Präsident“. Letztere LP ist während der heißen Phase des Widerstandes gegen die Startbahn West entstanden und enthält zum Beispiel „Mir koche vor Wut“, geschrieben für die legendäre Walldorfer Küchen-brigade. 
Abgerundet wird das Heft mit vielen Bildern und ergänzenden Texten, sodass man wirklich nicht unbedingt Musiker sein muss, um sich daran zu erfreuen. Stichwort Musiker: Natürlich zeichnet nicht Bodo Kolbe ganz allein für den Riedblues verantwortlich, aber er ist eben der Kontinuitätsfaktor und Spiritus Rector in seiner Geschichte.
Bodo Kolbe ist übrigens auch nicht der „Vater“ dieses Songbuchs. Herausgeber ist vielmehr Hobbyautor Roland Kirsch aus Bürstadt, den der Biibaa-Bluus einst zu seinem Krimi „Kartoffelblues“ inspiriert hatte. Die beiden treten ab und zu gemeinsam auf, und Kirsch kam auf die Idee mit dem Liederbuch.
 Noten schreiben könne er aber nicht, entgegnete Kolbe, und Kirsch meinte: Macht nichts, ich kenne einen, der das kann. Und so zeichnet Andreas Keil für den Notensatz verantwortlich.
Aber zurück zur Betrachtung der Jubiläums-Platte. Nostalgie sei nichts Verkehrtes, aber der Wille, sich die Vergangenheit nur zum Wohlfühlen schön zu reden, sei schon recht ausgeprägt findet Bodo Kolbe mit Blick auf die aktuelle Wahrnehmung seines Werks. Und so bedauert er, dass vieles was an Sozialkritik und Bösartigkeiten in den Songs steckt, kaum einem mehr auffalle. 
Auch der 68er-Protestgeist, der hinter dem Ganzen eigentlich stand, sei den wenigsten bewusst. Der revolutionäre Ansatz lautete damals: „Wir machen unsere eigene Volksmusik!“ Natürlich sei es naiv gewesen zu glauben, dass Volksmusik etwas Revolutionäres wäre, „aber wir wollten nicht mehr von der Schlagermafia belogen werden. Das Leben sollte sich in der Kunst widerspiegeln“. Und so habe man aus Trotz die „Unterschichtensprache“ gewählt, blickt der 67-Jährige auf die Anfänge des Riedblues zurück.
Heute sei daraus eben Dialektpflege geworden, „so ähnlich wie Denkmalschutz.“ Und das sei keineswegs rückwärtsgewandt oder gar reaktionär, sagt der Sänger und betont vielmehr: „Sprache ist eine kulturelle Leistung, und wenn sie weg ist, ist es ein Verlust.“
Zu einem guten Teil schon verloren gegangen ist ja ohnehin die Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit, die da so kenntnisreich und mit feinstem Wortwitz besungen wird. Die Wirtschaften sind weg und das Wiegehäuschen aus dem Biibaa-Bluus sowieso. Auf der Geerer Chaussee möchte man nicht mehr lange stehen, denn da erstickt man an Abgasen und kann in all dem Lärm auch nicht mehr hören, was bei den Nachbarn so vorgeht – wenn man sie überhaupt noch kennt.
Namen, die prägnante Eigenschaften oder Berufe ihrer Träger benennen („Schere Dina“, „Elektrisch Kätche“, „Wouner Ernst“ usw.) finden sich kaum noch, und die Nordweststadt – im dörflichen Mörfelden der 70er Jahre Horrorvorstellung von einer Wohnwelt – sei jetzt ein recht harmonischer Kiez, weiß Bodo Kolbe zu berichten. Darauf würde er in Frankfurt immer hingewiesen, wenn er den Nordweststadt-Blues singe.
Ja, und den Dialekt verstehen die jüngeren Leute in der Doppelstadt ja auch kaum noch. Das sei dann aber weiter südlich im Ried durchaus anders, sagt der Mörfelder Musikant. Und er muss es ja wissen, denn er tritt zur großen Freude des Publikums entlang der B 44 regelmäßig mit dem Trio „Handkäs mit Orange“ auf und spielt die alten Hits: „Ich bin jetzt meine eigene Oldieband“, schmunzelt Bodo Kolbe, der über ein weit größeres Repertoire verfügt, welches sich aber nicht unbedingt fürs Festzelt eignet. Gegen den Zeitgeist kommt man eben nicht an. Gerd Keim

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