„Heimat ist da, wo man aufwächst“

Schülerinnen berichten beim Kulturabend von ihren Migrationserfahrungen

ZUM KULTURABEND waren rund 30 Gäste in die Bibliothek gekommen. (Foto: Scherer)

Kelsterbach. Was bedeutet Heimat? Unterscheiden sich Einheimische und Migranten wirklich so sehr? Mit welchen Schwierigkeiten haben Migranten, die in einem anderen Land ihr Glück suchen, zu kämpfen? Im Rahmen der Ausstellung „Erinnerungen an eine neue Heimat“ hatte die Integrierte Ganztagsschule (IGS) zu einem Kulturabend in die Stadt- und Schulbibliothek eingeladen. Dabei berichteten Schülerinnen von den Erlebnissen ihrer Großeltern und Eltern, die nach Deutschland eingewandert sind.

Zum dritten Mal hatte der Förderverein der IGS den Kulturabend organisiert. Anlässlich der vom KulturForum TürkeiDeutschland konzipierten Wanderausstellung standen die Themen Migration und Integration im Fokus der Veranstaltung, zu der knapp 30 Gäste in die Bibliothek gekommen waren.
Die zweisprachige Ausstellung zeigte anhand von Fotos und Zitaten die Lebensgeschichte von sieben türkischen Frauen der ersten Einwanderergeneration, die vor vielen Jahrzehnten auf der Suche nach Freiheit nach Deutschland gekommen waren. Sie lernten einen Beruf oder absolvierten ein Studium.
Außerdem werden sieben Deutsche porträtiert, die meist der Liebe wegen in die Türkei auswanderten. Ihre beruflichen Pläne mussten sie oft aufgeben, da die Arbeitsaufnahme für Ausländer in der Türkei streng reglementiert ist.
Die beiden ehemaligen IGS-Lehrerinnen Brigitte Lamberty und Reinhild Kleinlein hatten die Ausstellung nach Kelsterbach geholt, auch weil in der Stadt Migration eine große Rolle spielt und hier viele eine neue Heimat gefunden haben.
Laut Schulleiterin Barbara Jühe gibt es zwischen der Ausstellung und der IGS Anknüpfungspunkte. Viele IGS-Schüler haben einen Migrationshintergrund. Wichtiger als die Frage der Herkunft sei jedoch, dass alle Schüler Menschen seien, betonte Jühe. Die Vielfalt der Kulturen und das Verständnis füreinander seien das Gegenteil zu Hass und Gewalt.
Musikalisch eröffnet wurde der Kulturabend von Schülerinnen des Schulorchesters. Melina van Loon, Xenia Stühler, Patricia Gomes, Miriana Serio, Lumnije Ramadani und Monika Periç spielten unter der Leitung von Musiklehrer Martin Mattern die Stücke „Voice sur ton chemin“ und „Gabriellas Song“. Außerdem trugen Schülerinnen exemplarisch die Schicksale zweier Frauen der Ausstellung vor.
Unter der Leitung von Ute Ritz-Müller, pädagogische Mitarbeiterin der IGS, hatten sich Schülerinnen mit ihrer eigenen Herkunft beschäftigt. Unterschiede zwischen Deutschen und Migranten sehen die Jugendlichen aus dem Kosovo, der Türkei, Marokko und Westthrakien nur noch in der Kultur. Ihre Großväter seien vor vielen Jahren wegen der Arbeit nach Deutschland gekommen, anfangs nur vorübergehend. „Aber meine Großmutter sagte dann, das nimmt ja gar kein Ende und da ist sie mit der Familie nachgekommen. Jetzt leben wir alle hier“, erzählte Imane Ouchan, deren Familie aus Marokko stammt. Schwer gefallen sei es vor allem den Großmüttern, die kaum Deutsch konnten und teils Analphabetinnen waren.
Ihre Mütter hätten es einfacher gehabt, da sie hier aufgewachsen seien, die Kindergärten und Schulen besucht hätten, erzählten Melike Akce und Gizem Kertel, die beide türkische Wurzeln haben. Dem Brauch, dass die Väter über Hochzeit und Partnerwahl der Kinder bestimmten, steht die heutige Jugend recht stur gegenüber. „Wir wollen selbst bestimmen“, sagten die Jugendlichen.
Respekt vor Älteren wird in ihren Kulturen groß geschrieben. Selbstverständlich sei es, sich später um die eigenen Eltern zu kümmern. Aber auch die Eltern fordern das ein. „Meine Mutter sagt immer: ‚So wie ich für dich geschwitzt habe, wirst du für mich schwitzen‘“, sagte Funda Chatzisali, deren Mutter aus Westthrakien in Griechenland stammt.
„Heimat ist da, wo man aufwächst“, erklärte Lumnije Ramadani, deren Mutter aus dem Kosovo stammt. Alle Mädchen haben ihre Heimat in Deutschland gefunden.
„Ich habe hier Wurzeln geschlagen und sechs Wochen im Jahr Urlaub in Griechenland reichen mir“, betonte Funda Chatzisali. (nad)

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