Seine Visionen zeichneten ihn aus

SPD erinnerte an den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt


ERINNERUNGEN an Willy Brandt: Im Rathaus Walldorf moderierte Matthias Moser (Zweiter von rechts) ein Podiumsgespräch mit Ingo-Endrick Lankau, Wolfgang Stork, Norbert Wieczorek und Willi Blodt (von links) die von ihren Begegnungen mit dem ehemaligen Bundeskanzler erzählten. (Foto: Schwappacher)

Mörfelden-Walldorf. Willy Brandt prägte eine ganze Generation von Sozialdemokraten und hinterließ seine Spuren auch über die Parteigrenzen hinweg.

An seinem 100. Geburtstag erinnerten der SPD-Unterbezirk Groß-Gerau und der Ortsverein Mörfelden-Walldorf mit Auszügen aus seinen Reden an den ehemaligen Bundeskanzler. Außerdem berichteten während der gut besuchten Veranstaltung „Herzlichen Glückwunsch, Willy“ im Rathaus Walldorf Zeitzeugen von ihren Begegnungen mit dem langjährigen SPD-Vorsitzenden.
An einen überzeugenden und beeindruckenden Politiker erinnerte sich der ehemalige Landrat des Kreises, Willi Blodt (SPD). Bei einem Empfang im Berliner Rathaus habe er ihn als guten Unterhalter kennen gelernt, der zu später Stunde gerne Witze erzählte und zu Scherzen aufgelegt war. Enttäuschend sei ein späteres Zusammentreffen verlaufen, bei dem sich Blodt von Brandt eine klare Positionierung gegen den Bau der Startbahn West erhofft hatte. Brandt habe aber erklärt, sich nicht in den Konflikt einmischen zu wollen.
Wolfgang Stork arbeitete früher als Geschäftsführer des SPD-Unterbezirks Groß-Gerau und war zu Beginn eher skeptisch gegenüber Brandt eingestellt. „Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze war er nicht unbedingt mein Idol“. Dennoch habe Brandt ihn mit seinem damals unüblichen Redestil fasziniert und eine Aufbruchstimmung verbreitet.
Auf dem Mannheimer Parteitag 1974 begegnete er ihm schließlich persönlich. Eine Stunde saßen die beiden an einem Tisch, während der Brandt Witze erzählte und ein Glas Rotwein nach dem anderen trank. „Es hat ihm offenbar geschmeckt“, sagte Stork lachend, der von Brandts Aura angezogen war und dessen Auftreten ihn für die weitere Arbeit in der SPD motivierte.
„Er hat uns viel gegeben“, sagte Ingo-Endrick Lankau, der von 1976 bis 1983 Bürgermeister von Groß-Gerau war. Bleibenden Eindruck hat ein offizieller Besuch Brandts hinterlassen, bei dem hohe Sicherheitsvorkehrungen herrschten, Scharfschützen auf den Dächern lagen und in einem Krankenwagen die passende Bluttransfusion bereit lag.
Von Brandts rhetorischer Begabung konnte sich der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Norbert Wieczorek bei einer Reise nach Peru selbst überzeugen. Nachdem der damalige peruanische Präsident auf einer Veranstaltung eine anstrengende vierstündige Rede gehalten hatte, reichten Brandt 20 Minuten, um unter den Zuhörern wieder für Stimmung zu sorgen.
„Was ihn auszeichnete, waren seine Visionen“, sagte die hr-Redakteurin und Autorin des Hörbuchs „Willy Brandt – mehr Demokratie wagen“, Dorothee Meyer-Kahrweg, die zusammen mit Klaus Müller von der SPD den rund 100 Besuchern eine Stunde lang Originalreden vorstellte und einordnete. Darunter waren Ausschnitte aus der Rede anlässlich des Mauerbaus, seiner Regierungserklärung von 1969 und zu seinem Rücktritt als Parteivorsitzender 1987.
Als Journalist habe Brandt gelernt, mit Worten umzugehen, berichtete die Redakteurin. Lange habe er an seinen Reden gefeilt, die er nicht von oben herab gehalten habe und deshalb viele Menschen für sich einnehmen konnte. Brandt stand für einen völlig neuen Politikstil, betonte Meyer-Kahrweg. Statt sich auf kleine Punkte zu fixieren, habe er immer langfristig gedacht und eine Vorstellung davon entwickelt, wie es in einigen Jahrzehnten in Deutschland aussehen sollte. (seb)

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