Klimaaktivist spricht an der Mörfelder Hüttenkirche

Mitglied der „Letzten Generation“ zu Gast im Gottesdienst

„Unsere Situation ist dramatisch!“ Michael Scheurer von der „Letzten Generation“ verteidigt den Protest der Aktivisten. (Foto: Friedrich)

Mörfelden-Walldorf (ula). Müssen Christen aufstehen, um einen Stopp des weltweit klimaschädlichen Kurses einzufordern? Wie viel Religion gehört in die Demokratie und wie viel Demokratie in drängende, ökologische Probleme? Schon die Wahl des Formats gab am vergangenen Sonntag Antworten darauf: Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann lud im Gottesdienst der evangelischen Kirchengemeinden beider Stadtteile alle Teilnehmer zum Mitmachen, Hinterfragen und Mitdiskutieren ein, Motto: „Ökodemokratie statt Ökodiktatur“.

Und das an einem geschichtsträchtigen Ort, der gleichfalls ein Sinnbild des Widerstands von Gläubigen markiert: Die Hüttenkirche, Symbol im Kampf gegen den Bau der Startbahn 18 West, steht für den friedlichen Protest gegen den Eingriff in die Schöpfung. Diesmal ist der Auftrag größer, universell. Mit Michael Scheurer saß vor dem hölzernen Kirchlein ein Referent der Letzten Generation im Publikum. Repräsentant einer Klimabewegung, die außergewöhnliche, drastische Mittel wählt.
Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann, privat bei „Christians for Future Deutschland“ engagiert, nahm beim Gottesdienst im Grünen kein Blatt vor den Mund. Ihr Credo: Die Ampelregierung im Bund sei auf dem besten Weg, die auferlegte Klimaneutralität bis 2045 zu verpassen: „Insbesondere die FDP hält sich überhaupt nicht an die Klimaziele, Verkehrsminister Volker Wissing sitzt das aus, und Kanzler Olaf Scholz (SPD) baut ihm hier möglicherweise sogar ein Schlupfloch.“ Während in Deutschland über Privatjets diskutiert und Debatten zum Tempolimit abgewürgt würden, „haben wir ein beispielloses Artensterben, und die Länder der südlichen Halbkugel bekommen die Klimakrise mit voller Wucht zu spüren“, so die Protestantin. Gleichwohl spürte sie kritisch nach, ob die Mittel der „Letzten Generation“ geeignet sind. Oder sind Straßenblockaden, Sekundenkleber und besudelte Kunst gar kontraproduktiv im Kampf ums Klima?

„Wenden Sie sich an die Parteien?“ - „Nein: Uns bleibt keine Zeit."

Vermutlich hätten nun viele Gottesdienstteilnehmer einen jungen Menschen erwartet, der für seine Sache brennt. Gastredner Michael Scheurer, dreifacher Vater, gab sich als 74-Jähriger zu erkennen. „Meine Generation ist die, die es verbockt hat!“, so der Darmstädter demütig. Angespornt vom Engagement seiner Kinder zieht er indes mit und trat im April 2022 der „Letzten Generation“ bei. „Unsere Situation ist dramatisch! Wir sehen aus Verzweiflung keinen anderen Weg, den Druck aufzubauen“, verteidigte er die Aktionen seiner Bewegung. „Treffen die Blockaden die Falschen? Hier wird die Bevölkerung in Komplizenschaft mit den Systemverantwortlichen gestellt“, hinterfragte besonders Pfarrerin Seidel-Hoffmann das Vorgehen der Aktivisten kritisch.
„Wenden Sie sich an die Parteien?“, die Frage aus den Besucherreihen beantwortete der Referent mit einem klaren „Nein: Uns bleibt keine Zeit. Und wir sehen ja, was die Grünen in der Regierung machen – machen können.“ Die „Letzte Generation“ fordert einen Gesellschaftsrat, dessen 160 Vertreter Deutschlands Gesellschaft repräsentieren – eine Klima-Exekutive, von Wissenschaftlern beraten.
„Viele Jugendliche bewegt das Thema ihrer Zukunft überhaupt nicht“, sagte eine Besucherin ernüchtert. Eine wirtschaftliche Sichtweise eröffnete ihr Nebenmann: „Wir werden schon zu Verschwendern erzogen! Wir brauchen einen Systemchange, keinen Klimachange!“
Im hellen Sonnenlicht wurden viele Ideen zusammengetragen – und ein Blick zurückgeworfen. Ein Stück des Betonzauns um die Baustelle zur 18 West ist hier, samt Nato-Draht, als Mahnmal erhalten. „Weiterarbeiten am Modell Deutschland“ hatte ein Demonstrant damals auf den Beton gepinselt – eine Vision, die mehr denn je zu denken geben sollte.

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