Alarmstufe Rot in Kreisklinik

Einrichtung macht mit Aktion auf prekäre Lage aufmerksam

Kliniken in Not: Mit einem Plakat protestierten Mitarbeiter der Kreisklinik am Dienstag gegen die Krankenhausreform. (Foto: Schüler)

Kreis Groß-Gerau (msh).  „Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Not!“ stand auf dem Plakat, das am Dienstagvormittag den Eingang zur Groß-Gerauer Kreisklinik zierte. Rund 60 Mitarbeiter hatten darauf mit roter Farbe ihren Handabdruck verewigt und protestierten so gegen die geplante Klinikreform, durch die sich zahlreiche Krankenhäuser in ihrer Existenz bedroht sehen.

„Wenn die Politik nicht schnell etwas unternimmt, werden sich viele Patienten in Hessen ein anderes Krankenhaus für ihre Behandlung suchen müssen“, stellt Clemens Maurer, Vorstandsvorsitzender des Klinikverbunds Hessen, fest. Er führt an, dass 2022 bereits 74 Prozent der befragten Krankenhäuser einen negativen Jahresabschluss ausgewiesen hätten und diese Zahl 2023 auf 85 Prozent steigen werde. Als kritisch stufte die Mehrzahl der Krankenhäuser die eigene Liquidität ein, was nicht nur Maurer nachdenklich stimmt.
Einschätzungen, die auch Professor Erika Raab, Geschäftsführerin der Kreisklinik Groß-Gerau, teilt. „Wenn ein Krankenhaus in die Insolvenz geht, wer zahlt dann die Verbindlichkeiten? Diese werden dann nämlich sofort fällig. Meist bürgt die Kommune dafür. Wir haben hier 15 Millionen Euro Verbindlichkeiten. Was würde passieren, wenn diese sofort in den Haushalt des Kreises eingerechnet würden? Ich denke der Haushalt würde explodieren“, so Raab.

Kriitk an übertriebener Bürokratie

Sie berichtete von 52 Kliniken bundesweit, die bereits Insolvenz angemeldet hätten, Tendenz steigend. Auf 68 000 Euro pro Stunde bezifferte Raab das Defizit der Kreisklinik, sieht sich aber der Entwicklung machtlos gegenüber. „Aufgrund der Vorgaben des Systems müssen wir von vorneherein mit einem Defizit planen und können nur versuchen, dieses gering zu halten“, erklärt Raab. Verantwortlich macht sie für dieses Problem vor allem die übertriebene Bürokratie. „Durch die ganzen Überprüfungen pervertiert sich dieses System selbst“, übt sie harsche Kritik an den geplanten Reformmaßnahmen. Raab berichtet, dass die Klinik gegenüber den Krankenkassen sogar begründen müsse, warum ein Patient im Krankenhaus behandelt würde. „Sonst bekommen wir für die Behandlung keinen Cent.“ Etwa 0,7 Prozent des Krankenversicherungsbeitrags jedes Einzelnen beziffert sie als Bürokratie-Wasserkopf – dieser ließe sich durch andere Regelungen einsparen. Raab verweist auf die zahlreichen Qualitätssicherungsmaßnahmen, die von externen Unternehmen durchgeführt würden und effektiv eher Geld kosten als Verbesserungen bringen.
„Wir müssen da zahlreiche Anträge ausfüllen und werden auch noch sanktioniert, wenn die Anträge nicht vollständig sind. Erst vor Kurzem hatten wir einen Antrag über 18 Seiten und bekamen die Meldung auf Unvollständigkeit. Dabei hatten wir ihn zu dritt eingepackt. Das ist auch so ein Irrsinn: alles soll digitalisiert werden, aber die Anträge sollen wir ausdrucken und hinschicken, wo sie dann eingescannt werden. Das war nämlich das Problem: die fehlende Seite lag noch im Scanner“, berichtet die Geschäftsführerin aus der Praxis.

Am Ende müsste am Personal gespart werden

Kritik, die auch die Ärzte am Kreisklinikum teilen. „Qualitätskontrollen an sich sind nichts schlechtes. Nur sollte dazu auch die Ergebnisqualität stimmen“, so Esther Hüttermann, Fachärztin für Chirurgie und Viszeralchirurgie.
Ursache für die finanzielle Schieflage sei die strukturelle Unterfinanzierung der Krankenhäuser. Die gesetzlich festgelegte Finanzierung der Kliniken bestehe aus der Investitionsförderung des Landes sowie aus den von den Krankenkassen finanzierten Behandlungserlösen. Die Investitionsförderung reiche bereits seit Jahrzehnten nicht mehr aus, um den tatsächlichen Investitionsbedarf zu decken, obwohl das Land Hessen im Doppelhaushalt für 2023 und 2024 den Betrag deutlich erhöht habe. Raab betont, dass alleine die Erhöhung der Mittel um 4,32 Prozent nicht ausreiche, um die Inflation auszugleichen.
Kritik übt Raab vor allem an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Dieser habe das Gefühl für die Probleme der Ärzte und Kliniken verloren. Er spräche von einer Ent-Ökonomisierung, jedoch würden keine Mittel bereitgestellt, um dies auch umzusetzen, sodass letzten Endes keine Klinik an den finanziellen Aspekten vorbeikäme. „Während Corona war immer davon die Rede, wie wertvoll das Personal wäre und wie notwendig es sei Personal aufzustocken. Unter Berücksichtigung aller Prüfungen und Vorgaben, bleibt bald aber nichts anderes mehr übrig als am Personal zu sparen, also da, wo wir eh schon Personalnotstand haben“, führt Raab einen Widerspruch bei den Planungen der Klinikreform auf.  
Eigene Bewertung: Keine Durchschnitt: 1 (1 Bewertung)

HerunterladenQR Code URL: https://www.freitags-anzeiger.de/41209


X