Lieber ein Lappen als ein Vollhonk

VBW-Plan geht auf: Kurzweiliger Poetry-Slam mit dem Deutschen Meister Lars Ruppel

DIE SIEGER waren am Ende Tobias Schmolke und Finn Holitzka, zur Freude von Lars Ruppel und Hartmut Blaum (von links). (Fotos: Scherer)

Kelsterbach. Es sollte ein Schritt in eine neue Richtung sein. Ein moderner Dichterwettstreit, der ein junges und junggebliebenes Publikum anspricht. Mit dem 1. Kelsterbacher Poetry-Slam ging das Volksbildungswerk (VBW) einen neuen Weg – an dessen Ende ein gelungener Abend im Lesecafé der Stadt- und Schulbibliothek mit über 70 begeisterten Gästen stand. Eine Wiederholung ist nicht ausgeschlossen.

„Die Zeit bleibt nicht stehen“, erklärte der VBW-Vorsitzende Hartmut Blaum. Vorgemacht hat es das VBW Eschborn, das bereits den Deutschen Poetry-Slam-Meister Lars Ruppel zu Gast hatte. Ruppel ist seit 14 Jahren Slammer und hat bereits Wettbewerbe und Workshops im Sudan, Russland, England und den USA organisiert. Vor zwei Jahren erschien sein Buch „Holger, die Waldfee“ mit zehn Gedichten über bekannte Redensarten.
Zusammen mit Blaum organisierte Ruppel nun in Kelsterbach den ersten Poetry-Slam und übernahm auch die Moderation. Außerdem hatte der Wortakrobat acht Teilnehmer mitgebracht, darunter den mehrmaligen Hessenmeister Marvin Ruppert aus Marburg und den amtierenden Hessenmeister Tobias Schmolke aus Friedberg. Sechs Minuten hatten die Slammer jeweils Zeit, das Publikum zu überzeugen.
„Man weiß nie, was an so einem Abend passiert, denn es gibt bei den Texten keine Einschränkung“, beschrieb Ruppel den Reiz des Dichterwettstreits, der Mitte der 80er Jahre in Chicago entstand und bei dem das Publikum den Sieger per Punktvergabe kürt. Erlaubt sind alle Text- und Vortragsarten, Hauptsache, es ist selbst erdacht. Verboten sind Verkleidungen und Hilfsmittel.
Als „Opferlamm“ eröffnete Ruppel außer Wertung den Wettstreit mit einem gesellschaftskritischen Gedicht über die „Kuh vom Eis“. Die erschreckte einst nachts Kinder, erkannte aber, dass man die Menschen als BILD-Redakteurin mit im „Zweihuf-Tippsystem“ geschaffenen Schlagzeilen besser ängstigen kann. „Und so erhielt die Kuh vom Eis sogar den Axel-Springer-Preis.“
Hessenmeister Marvin Ruppert trug einen Text über „verstaubte Romantik“ vor. Während daheim ein Streit mit der Freundin schwelt, korrigiert er in der Bahn seinen Sitznachbarn, der eine Liebes-Sms an seine Ex-Freundin schicken will. Zuhause hält ihm seine Freundin die Liebeserklärung ihres Ex vor die Nase – seine zuvor korrigierte Version.
Über seine tragisch komische Zeit als Zivildienstleistender in einem Kinderheim erzählte Nils Frenzel, während Dominik Rinkart den Tagebucheintrag eines Countdowns wiedergab – bis zu dessen unwiderruflichem Ende. Nachdenklich stimmte der Text von Jakob Kielgass über „Sisyphos“, in dem der Marburger kritisch den aufreibenden Alltag hinterfragte.
Mut bewies die 15-jährige Laura Roser aus Raunheim, die sich spontan dazu entschied, an dem Wettbewerb teilzunehmen. In einem persönlichen Text, den sie vor zwei Jahren schrieb, setzte sie sich mit der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter auseinander und erhielt viel Lob vom Moderator.
In poetischer Sprache erzählte Tabea Reinelt aus Offenbach Geschichten, die jeder mit sich herumtrage. Die Hanauerin Lea Weber begeisterte mit ihrem Text über einen Menschen, der Sprichwörter hochhält. „Du redest in Floskeln, hast stets eine Weisheit parat für all meine Fragen.“
Hartmut Blaum wagte sich mit seinem Text „Wenn ich reich wäre“ auch auf die Bühne. Eine Visitenkarte mit der Aufschrift „Privatier“ müsse drin sein, ebenso eine Zugehfrau und ein Butler.
Ins Finale schafften es der Darmstädter Finn Holitzka und Hessenmeister Tobias Schmolke. Holitzka überzeugte das Publikum mit einem perfekten Vortrag über den Wunsch nach einem männlichen Stuntman, benannt nach dem Fußballer Granit Xhaka, der der Gefahr ins Auge blutgrätscht. Am Ende jedoch besinnt er sich: „Wenn die echten Männer solche Vollhonks sind, bleib ich lieber ein Lappen.“ Mit dem könne man wenigstens noch wischen.
Tobias Schmolke erteilte dem Individualismuswahn eine humorvolle Absage. „Ich bin nur ein Teil von jener Kraft, die stets den Individualismus will und den Mainstream schafft“, beschrieb Schmolke in Anlehnung an Goethes Mephisto das sinnlose Unterfangen. Zwar traten Schmolke und Holitzka noch einmal gegeneinander an, doch ein eindeutiger Sieger – gekürt durch das Klatschen des Publikums – stand am Ende nicht fest.
„Das war wirklich hervorragend“, lobte Hans-Jürgen Wagner den Poetry-Slam. Dieser bereichere die Kelsterbacher Kulturlandschaft ungemein. „Deshalb hoffe ich auf eine Wiederholung.“ Auch Sandra Lang war von dem Mut und den Vorträgen der Slammer begeistert. Vor allem der Alltagsbezug der Texte habe ihr gefallen.
Die Beteiligung der Einheimischen will Lars Ruppel allerdings noch steigern. „Beim nächsten Mal will ich hier fünf Kelsterbacher auf der Bühne sehen“, so der Moderator zuversichtlich. (nad)

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