Von Noten hielt sie nicht viel

Die engagierte Lehrerin Birgit Schüller verabschiedete sich von der Klingler-Schule

EIN LETZTER TANZ: Zum Abschied von der Bürgermeister-Klingler-Schule tanzte Grundschullehrerin Birgit Schüller mit Kollegen, Schülern und Weggefährten im Pausenhof. (Foto: Schwappacher)

Mörfelden-Walldorf. Über 42 Jahre hinweg unterrichtete Birgit Schüller als Grundschullehrerin. An der Bürgermeister-Klingler-Schule betreute sie als Klassenlehrerin insgesamt rund 270 Kinder, brachte ihnen Lesen, Schreiben und sogar Tanzen bei, und versuchte das Interesse an der Natur, am Theater und für Geschichte zu wecken.

Am letzten Donnerstag verabschiedete sie sich von ihrem geliebten Arbeitsplatz. Als Überraschung besuchten knapp 100 ehemalige Schüler die Pädagogin und wagten einen letzten Tanz mit ihr. Zuvor sang ihre Klasse 4d ein Abschiedsständchen in der Aula, es gab kurze Ansprachen, und Kollegen führten ein Theater-Quiz auf.
Als Birgit Schüller in Mörfelden ihre erste Stelle antrat, war ihr als Berufsanfängerin und Walldorferin mit Berliner Wurzeln noch vieles fremd. Über die Jahre wuchsen ihr die Menschen aber ans Herz. „Annäherungen fanden natürlich statt. Ich durfte ja in meinem Traumberuf arbeiten“, erzählte die 65-Jährige. Die Eigenwilligkeit und Sturheit der Mörfelder wisse sie heute zu schätzen. Wahrscheinlich auch, weil Schüller selbst diese Eigenschaften mitbringt.
Schon auf dem Gymnasium wollte sie Grundschullehrerin werden, schreckte aber zunächst vor der großen Herausforderung zurück. Sie befürchtete, nicht jedem Kind einer Klasse gerecht werden zu können. Für kurze Zeit probierte Schüller es mit einer Ausbildung als Krankengymnastin, brach sie aber ab und entschied sich doch für den Lehrerberuf. „Ich finde es toll, aus dem Muss der Schule einen schönen Vormittag für die Kinder zu machen“, erklärte sie.
Dabei hatte sie stets ihre eigenen pädagogischen Vorstellungen. Das zeigt sich schon an ihrer Personalakte, die einen dicken Ordner ausfüllt, wie Rektor Johannes Nowak berichtete. Konferenzen zogen sich wegen der engagierten Redebeiträge von Birgit Schüller in die Länge und auch auf Elternabenden wurde lebhaft diskutiert.
In der Personalakte zeugen zahlreiche Briefwechsel mit dem Kultusministerium von ihrem Einsatz. Denn Schüller wollte von Anfang keine Noten vergeben. „Wie könnte sich die Besonderheit der Kinder in einer Note darstellen?“, fragte sich die Lehrerin.
Erst gewann sie die Eltern für die Idee, einen Schulversuch „Zeugnisse ohne Noten“ zu starten, danach bearbeitete sie das Kultusministerium. Als nach einem Jahr noch keine Entscheidung gefallen war, fragte sie die Eltern, ob sie noch immer hinter dem Schulversuch stünden. „Mer habbe aamohl ja gesagt und dabei bleibe mer“, war die Antwort eines Vaters.
„Damit haben die Mörfelder mein Herz gewonnen“, erinnerte sich Schüller. Der Schulversuch wurde schließlich genehmigt, und nach und nach schlossen sich Schüller einige Lehrer an, die ihre Kinder lieber schriftlich beurteilen, als mit Zahlen.
„Langweilig wird mir jetzt ganz sicher nicht, aber die Kinder und die Arbeit als Lehrerin werden mir fehlen“. Vor mehr als zehn Jahren begann Birgit Schüller eine Ausbildung zur Tanz- und Kinder- und Jugendtherapeutin. Mittlerweile bildet sie selbst zukünftige Therapeuten aus und arbeitet als Selbstständige. Genug zu tun hat die Grundschullehrerin im Ruhestand daher. Dass ihr wirklich langweilig wird, kann man sich aber auch nur schwer vorstellen. Denn dafür ist sie einfach zu umtriebig und lebendig. (seb)

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