Spaltung der Gesellschaft stoppen

Gedenkkundgebung der Aktion Toleranz: Bogen von 1938 in die Gegenwart gespannt

IM GEDENKEN an die Opfer des Nationalsozialismus und der Novemberpogrome von 1938 legten die Kundgebungsteilnehmer Blumen in der Langgasse nieder. (Foto: Schwappacher)

Mörfelden-Walldorf. Wie war die Situation im November 1938, als Synagogen brannten, jüdische Geschäfte und Wohnhäuser geplündert und verwüstet wurden, und wie sieht es heute aus? Die Aktion Toleranz stellte diese Frage in den Mittelpunkt ihrer Kundgebung. In der Langgasse wurde dabei am Donnerstagabend an die Novemberpogrome und die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.

„Auf den ersten Blick ist es heute ganz anders“, stellte Gastredner Georg Fülberth fest. Nach dem Ersten Weltkrieg und während der Weimarer Republik habe Deutschland wirtschaftlich am Boden gelegen, so der Politikwissenschaftler. Im Moment nehme Deutschland dagegen als große Exportnation die Rolle einer europäischen Führungsmacht wahr. Auch ein Bündnis zwischen Mob und Eliten, wie es Hitler und Wirtschaftsführer damals geschlossen hätten, sei aktuell kein Thema, sagte Fülberth weiter. Er arbeitete aber auch Parallelen heraus. 
Zum Ende der Weimarer Republik habe sich eine aggressive Stimmung breit gemacht, die heute ihren Widerhall in Hetze gegen Flüchtlinge und einer zunehmenden rechten Gewalt finde. Deutsche Wirtschaftsvertreter unterstützen dies aber nicht. Ganz im Gegenteil, sie stellten sich sogar gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Allerdings aus eigenen Interessen, wie einem drohenden Fachkräftemangel.
Mit dem Wahlausgang in den USA könne es dort bald anders aussehen und zu einem Bündnis zwischen Mob und Establishment kommen. Auch wenn dies in Deutschland nicht absehbar sei, habe das gejagten und angegriffenen Flüchtlingen, oder den Opfern des so genanten „Nationalsozialistischen Untergrunds“, nicht geholfen. Polizei, Verfassungsschutz und Justiz schienen nicht in der Lage, sie zu schützen. 
Die Ursachen für dieses Versagen seien noch immer nicht aufgeklärt. Wie würde es daher aussehen, wenn Wirtschaftsbosse und Eliten ihre Haltung ändern und auf die rechte Bewegung zugingen? „Es ist nicht auszudenken“, mahnte Georg Fülberth. 
Der neuen Rechten müsse daher entschlossen entgegengetreten werden, damit ein solcher Pakt erst gar keine Option werde. Um die Gefahr zu bannen, gelte es, das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu stoppen. Wenn man etwa gegen Altersarmut und zu geringe Löhne vorgehe, versiege der Zulauf am rechten Rand. Allerdings sei offen, ob sich Wirtschaftsvertreter noch hinter die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung stellten, sollte es zu einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums kommen. 
Auch Bodo Kolbe von der Aktion Toleranz spannte den Bogen von 1938 in die Gegenwart und stellte eine Reihe von jüngeren Ereignissen in den Kontext des 9. November. Die Abschottung der europäischen Außengrenzen werde als Erfolg gefeiert, habe aber zur Konsequenz, dass Tausende im Mittelmeer ertrinken. Eine solche Politik sei zynisch und habe nichts mit der Menschenwürde gemein. 
Auch die Lage in Afrika wurde angesprochen. Die EU unterstütze etwa im Sudan bekannte Kriegsverbrecher, um Flüchtlinge zurückzuhalten. „Das ist reiner Auftragsmord“, von dem später niemand sagen solle, er habe davon nichts gewusst. Auch die jüngst auf dem CSU-Parteitag gepriesene deutsche Leitkultur trage ihren Teil zur Ausgrenzung und Spaltung der Gesellschaft bei. Mit ihr erhöhe man eine Kultur und setze andere bewusst herab. Das sei nicht nur überheblich, sondern auch rassistisch. „Exkommuniziert Seehofer und Scheuer“, forderte Bodo Kolbe abschließend. 
Zum Ende der Veranstaltungen legten dann Stadtverordnetenvorsteher Werner Schmidt und Bürgermeister Heinz-Peter Becker einen Kranz am Gedenkstein für die während der Nazizeit verfolgten jüdischen Mitbürger nieder. Anschließend gedachten die Veranstaltungsbesucher der Opfer des Nationalsozialismus mit Blumen. (seb)

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