Rot-Weiß Walldorf: Weinfest erstmals per Livestream

Edle Tropfen beim Garten-Talk in Mörfelden verkostet

Zwischen Weinprobe und Weintalk: Das Walldorfer Weinfest wurde im Garten des Elternhauses von Ralf Baitinger (links) aufs Wesentliche komprimiert. Wer es erleben wollte, schaltete den Livestream am Computer ein. (Foto: Friedrich)

Mörfelden-Walldorf (ula). 23 Jahre alt und ein Erfolgsschlager: Das zweitägige Weinfest des SV Rot-Weiß Walldorf hat sich nach eigenem Bekunden zum größten Volksfest der Doppelstadt entwickelt. Eine ganze Ecke entfernt von den rheinhessischen Wingerten hat sich die Feier etabliert, die an zwei Tagen mehrere tausend Menschen an die Biertisch-, pardon, Weintischgarnituren vor dem rot-weißen Vereinsheim lockt. Diesmal fällt das vertraute Fest ins Wasser, was der Corona-Pandemie geschuldet ist.

Doch statt langer Gesichter gab es eine zünftige Idee: Die 24. Auflage des Weinfests in digitaler Version als Livestream. Wer sich sowas ausdenkt? „Ralf Baitinger und ich“, schmunzelt Manfred Knacker, Chef des SV Rot-Weiß Walldorf, „wir zwei Verrückten!“ Derweil werden im Garten in der Weingartenstraße letzte Vorbereitungen getroffen. Rene Papp, der Technikmann am Regler, richtet drei Kameras auf den Gartentisch aus, wo bereits drei auserwählte Rot-Weiß-Mitglieder sitzen: Thomas Huxhorn, seit 23 Jahren für die Gastronomie des Walldorfer Weinfests verantwortlich, Montagsmaler Heinz-Peter Becker und Burkhard Ziegler, der als Karnevalist mit der gesamten närrischen Abteilung zur Rot-Weiß-Familie im April dieses Jahres dazugestoßen ist.

Sechs feine Tropfen aus dem rheinhessischen Weingut

„Noch fünf Minuten!“, Papp führt Regie und neben Knacker nimmt nun auch Winzer Friedel Stauß Platz. Zwei urige Weinfässer und die Tiefkühlbox runden das Bild ab. Jungwinzerin Christina Stauß platziert Gläschen und Flaschenöffner. Sie wird fachlich durch den Abend führen, an dem sechs feine Tropfen aus dem rheinhessischen Weingut in Nierstein-Schwabsburg verkostet werden. 18.59 Uhr – am Gartenpiano wird ein letzter Soundcheck vorgenommen. Ralf Baitinger, der gemeinsam mit Rene Papp die Corona-Kulturreihe „Live aus dem Wohnzimmer“ begründet hat, ist Gastgeber und hat das Unmögliche geschafft: Das Walldorfer Weinfest findet in Mörfelden statt! „Drei, zwei, eins!“ Rene Papp zählt herunter, der Livestream beginnt mit einer Einlage Baitingers, „that´s why I‘m easy...“.
Wieviele Menschen sich zuhause mit dem Sechser-Set vom Weingut Stauss derweil in Stellung gebracht haben, lässt sich nur schätzen. „Wir haben im Vorfeld 78 Weinpakete verkauft“, so Manfred Knacker. Die Idee: Vor dem Bildschirm, wo der muntere Garten-Wein-Talk live gesendet wird, erleben Weinfestfans alles mit und testen sich parallel vom heimischen Wohnzimmer aus durch die sechs Sorten Rebensaft. 300, 400 Gäste, schätzt Knacker. Derweil wird der Rotwein geöffnet, nicht zum Trinken, sondern zum Atmen, wie Winzerin Christina Stauß erklärt, die nicht nur handwerklich top ist, sondern mit dem Diplom-Ingenieur in Önologie und Weinbau sowie einem weiteren Bachelor-Abschluss auch über akademische Bildung verfügt.

„Jetzt dürft ihr auch mal schmatzen“

19.13 Uhr: In die Gläser rinnt der Grauburgunder. „Schwenken, riechen“, kommandiert die sympathische Winzerin – sechs Nasen tauchen in die Gläschen ab. Heinz-Peter Becker erschnüffelt den Apfel, Baitinger die Birne, Aromen, denen letztlich mit den Zungen nachgespürt wird. In der Nachbarschaft wird ebenfalls tüchtig mitgetestet und vom Balkon vis-à-vis kommt donnernder Applaus, nachdem Baitingers Gesang und Spiel des Klassikers „Halleluja“ am E-Piano verklungen ist. Der Riesling wird verkostet, „jetzt dürft ihr auch mal schmatzen“, erlaubt die Winzerin, während Rene Papp beim Schmatz-Test die Mikrofone herunterregelt. Derweil wird philosophiert. Darüber, dass Mörfelden-Walldorf durchaus die Kulturhauptstadt des Landkreises sei (Burkhard Ziegler) und Kultur systemrelevant ist (Baitinger). Und natürlich über Wein. Pro verkaufter Flasche des Weinguts Stauß wandert ein Euro in die rot-weiße Jugendkasse.
Entstanden sei das Weinfest „als die Fußballabteilung finanziell am Abgrund stand“, berichtet Manfred Knacker, während der Sauvignon Blanc verkostet wird. Bei Rene Papp geht eine Zuschauer-Whats-App ein: „Ihr trinkt zu schnell. Wir sind noch bei der ersten Flasche“. Der halbtrockene Sauvignon Blanc hat sich zum rot-weißen Hauswein gemausert, für den Vorstandsmitglied Erwin Mader sogar ein Label entworfen hat. „Mein Favorit“, meint Baitinger und schenkt nach. Christina Stauß entkorkt bereits den Kerner für Liebhaber der lieblichen Weine.

Nächstes Jahr wieder Weinfest in gewohnter Weise

Ein Rosé und ein Roter warten auf ihren Einsatz. Manfred Knacker hofft, dass im Nachgang weiterer Wein verkauft wird, um die Jugendarbeit der Fußballabteilung zu fördern. Obwohl das 24. Walldorfer Weinfest diesmal nur virtuell zu erleben war, hat die Qualität der Weine nicht darunter gelitten. „Friedel Stauß ist unser Winzer der ersten Stunde“, so Knacker. Der Niersteiner ist längst Rot-Weiß-Mitglied und das Weinfest nicht nur Sache der Fußballabteilung, sondern der ganzen Rot-Weiß-Familie. „An zwei Tagen sind sonst 120 Mitglieder im Einsatz“, berichtet Thomas Huxhorn. Trotz des Charmes eines lauschigen Abends im Grünen soll die 25. Auflage des Walldorfer Weinfests wieder in gewohnter Weise in großem Stil gefeiert werden. Vielleicht aber unter neuem Namen. Nach der gelungenen Digitalpremiere in Mörfelden, „könnten wir es Mörfelden-Walldorfer Weinfest nennen“, so Knacker.

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