Mit einem Notfallplan das Fest gerettet

Buschspatzen zimmern ein Rahmenprogramm zur Kerb – Lieder klingen etwas dünn

MUNTERE RUNDE auf dem Festplatz: Trotz mäßigen Wetters wurde die Walldorfer Kerb gefeiert – quer durch alle Generationen. (Foto: Friedrich)

Mörfelden-Walldorf. Sie ist eines der letzten Kirchweihfeste, die im Kreis Groß-Gerau gefeiert werden – die Walldorfer Kerb. Das Heimatfest wird über mehrere Tage mit all jenen Zutaten gewürzt, die zur Kerb maßgeblich nicht fehlen dürfen: Das Stellen des Kerwebaums, Kerwetanz und Rummelplatzvergnügen bis hin zur Kerbverbrennung auf dem Festplatz. Um den Kerwecocktail zu mixen, bedurfte es diesmal allerdings eines Notfallplans. 

Etwas holprig kam sie daher, die Walldorfer Kerb, die historisch betrachtet wie vielerorts auf die Weihe des evangelischen Gotteshauses zurückgeht. Neben dem Rummelplatzvergnügen ein viertägiges Programm zu schnüren, war eine Aufgabe, die diesmal von ungewohnter Seite gestemmt wurde. Die SKG Walldorf sprang mit ihren Buschspatzen in die Bresche, nahm den Wakeboardclub mit an Bord, schnürte ein Rahmenprogramm. 
Der mit dieser Aufgabe originär betraute Walldorfer Kerweverein agierte allenfalls auf Nebenschauplätzen, mit einer „Rumpfmannschaft“ mussten die Kerweborsch antreten.
Düstere Wolken markierten das traditionelle Stellen des Kerwebaums am Samstag auf dem Festplatz – auch im übertragenen Sinn. Doch wo Schatten, ist auch Licht: Manch einer nahm sich ein Herz, um die Rituale zu retten, ohne die ein Kirchweihfest zum Rummelplatzspektakel verkümmern würde. „Es gibt sie noch, die Kerweborsch!“, postulierte Walter Klement, Chef der SKG Walldorf und stellvertretender Vorsitzender des Kerwevereins.
Von den 15 „Aktuellen“ standen dem Kerwevadder neun zur Seite. Schützenhilfe leisteten Altkerweborsch, Walldorfs Feuerwehr, Bürger und offizielle Vertreter, deren Herz für die Kerb schlägt. So war es nicht verwunderlich, dass auch Bürgermeister Heinz-Peter Becker und ein paar Stadträte beim Baumstellen mit anpackten.
Erst wenige Tage vorm Fest sprang Maurice Coutandin in die Bresche, übernahm Zylinder und Verantwortung und kletterte am Samstag als Kerwevadder auf die Leiter. Die Kerwelieder klangen mangels Masse etwas dünn, doch die Kerweredd’ war trotz aller Eile kein Schnellschuss, sondern gehaltvoll. 
So machte sich der Vadder seine Gedanken über die aktuelle Situation: „Wo sinn die Zeite nur gebliwwe, als hier stande hiwwe wie driwwe Borsch und Mädscher viel an der Zahl. Achja, ach ja, es war einmal.“ 
Einen Streifzug durch die Lokalpolitik gab es natürlich auch: „Nachdem Rot-Grün nix hat erreicht, hat der Wähler letztens umgelenkt, unn uns die Fraktion der Freien Wähler geschenkt. Von dene zum Erste Stadtrat gewählt wurde Herr Ziegler, der hat dann fix unn schnell entschlosse, mit schöne Worte ganz unverdrosse, an de Gebührenschraub’ gedreht, was de Bürger net so ganz versteht. Außer Erhöhung Grundsteuer B unn vielem mehr, soll aach noch e Straße-Beitragssatzung her!“ 
Vor Wutbürgertum und „Ah-Eff-Dee“ warnte Maurice Coutandin. Und schwenkte auf die internationale Bühne um.„Aan Depp hockt im Weste, en annern im Oste. Zwaa Verrückte könne, wenns hart uff hart kimmt, alles kaputtmache, unn die Katastroph’ is vorbestimmt!“. 
Nach dieser kühnen Rede hatte die Geistlichkeit das Wort: Pfarrer Paul Nieder und sein evangelischer Kollege Jochen Mühl warben für ein friedliches Miteinander aller Kulturen und Nationen. Sie wünschten schöne Kerwetage, sprachen den Segen und luden zum Gebet.
Die Kerwekatastrophe in Walldorf wurde dank großen Engagements jedenfalls abgewendet. Der Festplatz füllte sich trotz mäßigen Wetters, und die Kerwegesellschaft schöpfte Kraft, um abends im „Busch“ ein zünftiges Oktoberfest mit Livemusik zu feiern. Am Montag nahmen alte und neue Kerweborsch bei der Kerbverbrennung auf dem Festplatz Abschied vom Heimatfest. 
Im nächsten Jahr, so die Prophezeihung des Vadders, soll die Kerb wie „en Phönix aus de Asche“ kraftvoll auferstehen. (ula)

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