Mörfelden-Walldorf: Rund 100 Menschen treffen zum Friedensgebet

Initiatoren überdenken Mahnwachenzyklus

Friedenstaube als Sieger: Mit Transparenten sind etliche Teilnehmer zum Friedensgebet an der evangelischen Kirche gekommen. Eine Mahnwache wurde abgesagt. Foto: Koslowski

Mörfelden-Walldorf – „Ich freue mich, mit ihnen zusammen ein Friedensgebet bei uns an der evangelischen Kirche bei Kerzenlicht sprechen zu können.“ So begrüßte Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann am Freitagabend rund 100 Gäste auf dem Kirchplatz der neuen evangelischen Kirche Walldorf. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, leuchtende Windlichter, welche die Besucher in den Händen hielten, tauchten den Kirchhof in eine feierliche, andächtige Atmosphäre. Die Konfirmanden hatten die zahlreichen Teelichter zuvor entzündet. 

Eigentlich waren die Menschen dem Aufruf zu einer dritten Mahnwache mit Friedensgebet seit Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine gefolgt. Die Solidaritätsveranstaltung für die Ukrainer war jedoch kurzfristig auf das Friedensgebet reduziert worden, wie die Pfarrerin vor Beginn in einem Gespräch mit dieser Zeitung informierte. 
Noch am Vormittag hatten die Stadt und die Kirchengemeinden die Entscheidung getroffen, vorerst auf eine Mahnwache zu verzichten. Vielmehr sollten erst einmal die Bedürfnisse der Bürger eruiert werden. Über diese Entscheidung habe Konsens zwischen der Stadt und den Kirchengemeinden geherrscht. 
Das Format Mahnwache und Friedensgebet hätten die Menschen zwar angenommen. Ob es aber tatsächlich verstetigt werden und die Kraft aufgewendet werden könne, wöchentlich zu einer Mahnwache aufzurufen, sei infrage gestellt worden. Vielleicht sollte eine solche vielmehr einmal im Monat abgehalten werden. Denn jetzt gelte es, sich mit der Aufnahme der Flüchtlinge zu beschäftigen und Hilfsgüter anzunehmen. Ob sich die Menschen zudem noch solidarisch treffen wollten, ob das Bedürfnis nach einer Mahnwache weiterhin vorhanden ist, müsse sich zeigen. Zudem müsse geklärt werden, ob es nicht einen zentralen Ort für eine Mahnwache geben solle. Ursprünglich war angedacht, dass wechselnde Akteure Gastgeber sind. 
Deshalb sollten neben dem Friedensgebet diesmal also keine politischen Ansprachen gehalten, sondern stattdessen ausschließlich für den Frieden gebetet werden, kündigte Pfarrerin Seidel-Hoffmann an. Dabei sollte auch die Zivilgesellschaft angesprochen werden. Denn es gelte, Ausgrenzung und Rassismus zu verhindern, so die Geistliche. Die evangelische Seelsorgerin meinte damit nicht zuletzt auch Agitationen gegen die russische Bevölkerung, die nunmehr allenthalben zu beobachten seien.
Die Teilnehmer selbst nahmen diese Entscheidung mit gemischten Gefühlen auf. „Ich bin extra aus Mörfelden hierher gefahren“, sagte etwa Heike Klippner. Die letzte Mahnwache habe sie versäumt. Ob jetzt mit oder ohne Mahnwache an die Menschen in der Ukraine gedacht werde, sei ihr gleich. „Das Zusammenkommen ist wichtig“, stellte sie fest. Damit zeigten die Menschen hier, dass sie mit ihren Gedanken bei den Ukrainern sind. 
Wolfgang Brockhoff-Hansen befürwortet dagegen eine Mahnwache. Ein Friedensgebet hält er für auf die Konfessionen beschränkt. Denn er hegt Zweifel, ob an einem christlichen Friedensgebet beispielsweise auch Menschen mit muslimischen Glauben teilnehmen werden. Zu einer Mahnwache würden sie jedoch sicherlich kommen. Außerdem wünsche er sich auch politische Stellungnahmen zu der Entwicklung in der Ukraine. 
Jedenfalls ist die Anzahl der Teilnehmer im Vergleich zu den vorherigen Aktionen stark zurückgegangen. Wurden bei der ersten Mahnwache rund 200 Menschen und bei der zweiten rund 400 Menschen gezählt, kamen jetzt nur rund 100 Besucher. Inwiefern sich die Entscheidung vom Vormittag bereits unter der Bevölkerung herumgesprochen hatte, ist nicht bekannt. 
Die Atmosphäre auf dem Kirchhof sollte für die ausgefallenen politischen Reden entschädigen. Bei Kerzenlicht lauschten die Menschen andächtig den Worten der Pfarrerin. Heike Seidel-Hoffmann erinnerte an ihre Studienzeit Anfang der 1980er Jahre, als sie inmitten von Menschenketten gegen die Stationierung der Pershing II-Raketen in Deutschland demonstrierte. „Frieden schaffen ohne Waffen“ hatten die Menschen gefordert. 
Eine Lehrerin habe damals zu bedenken gegeben, dass es Menschen nicht einmal gelinge, andere Menschen, die sie mögen, nicht zu verletzen. Zuerst habe sie sich über diese Aussage geärgert, dann aber habe sie gemerkt, dass der Mensch nicht friedlich ist. Am Anfang ihres Theologiestudiums habe sie es sich nicht träumen lassen, dass einmal eine Situation entstehen werde, wie sie sich heute eingestellt habe, so Seidel-Hoffmann.
Ihren Zuhörern hatte sie eine Reihe von Zitaten zu dem Thema Krieg und Frieden mitgebracht, die sie ihnen vorlas. Wie beispielsweise einen Satz von Mutter Teresa: „Wenn man für den Frieden arbeitet, verringert dieser Frieden den Krieg.“ Mit dem Gebet „Vater unser“ und dem gemeinsam gesungenen Protestlied „We Shall Overcome“ aus der US-Bürgerrechtsbewegung endete das Friedensgebet in Walldorf. 

VON RÜDIGER KOSLOWSKI

 

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