Mörfelden-Walldorf: Arztpraxen müssen Rückgang der Patientenzahlen verkraften

Weit weg vom Normalbetrieb – Erkrankungen aus Angst verschleppt

NEUE GLASSCHEIBE: Dr. Harald Farnik (links) und Arzthelferin Sabrina Köstler am Praxis-Empfang. (Foto: Schüler)

 

Mörfelden-Walldorf (db). Die Pandemie hat auch den Alltag der hier niedergelassenen Ärzte ordentlich durcheinandergebracht. Noch immer sind die Praxen weit von einem Normalbetrieb wie vor der Corona-Krise entfernt. Neben diversen Sicherheitsmaßnahmen, wie Plexigläsern an den Empfängen, angepassten Öffnungszeiten und einem kontrollierten Besuch der Patienten, müssen die Mediziner in der Doppelstadt vor allem einen Rückgang der Patientenzahlen verkraften.

Das ist besonders bitter, wenn man sich gerade in der Aufbauphase befindet, wie etwa Dr. Konrad Binder. Der Facharzt für Innere Medizin spürt die wirtschaftlichen Folgen: „Im März hatten wir etwa ein Drittel weniger Patienten hier.“ So seien Sprechstunden verschoben oder gar nicht erst abgesagt worden. Binder: „Der Corona-Effekt war deutlich zu spüren.“ 

„Vor allem in den ersten Tagen hat das Corona-Virus die Patienten extrem verunsichert"

Auch in der Praxis von Dr. Karl-Ludwig Händel und Dr. Harald Farnik ist die Patientenzahl gesunken. „Wir haben darauf reagiert, indem wir eine Sprechstunde für Risikogruppen angeboten haben“, sagt Farnik. Aber viele Betroffene hatten sich bereits von sich aus telefonisch in der Praxis gemeldet. Aus Angst, sich in der Praxis anzustecken, hätten viele Patienten den Weg in die Praxis gemieden. Dadurch wurden auch Erkrankungen verschleppt. Farnik: „Vor allem in den ersten Tagen hat das Corona-Virus die Patienten extrem verunsichert, spätestens als die ersten Bilder aus Italien veröffentlicht wurden und die Rede davon war, dass in Deutschland zu wenige Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen würden, war das ein einschneidender Moment für viele Menschen hier.“ Statt in die Praxis ging der Weg für Risikopatienten zunächst zum Gesundheitsamt, um dort einen Abstrich machen zu lassen. „Ob man es tatsächlich mit einer Corona-Infektion zu tun hat, ist nach wie vor schwierig festzustellen: Am Ende weiß man erst nach einem Abstrich wirklich mehr“, sagt Farnik. Was die Ausstattung mit Schutzmaterialien angehe, so war jede Praxis auf sich allein gestellt. „Schutzmasken, Kittel, Brillen und Ähnliches mussten wir uns über Umwege selbst organisieren“, berichtet Farnik. Einen Schuldigen gebe es dafür nicht.

Corona-Krise hat auch wirtschaftliche Auswirkungen

„Es herrschte schlichtweg auf der ganzen Welt Ausnahmezustand. Und der hat die medizinischen Einrichtungen überrollt“, sagt Christian Schmauß. Erst seit zwei Wochen ist sein Praxisteam ausreichend mit Schutzbrillen, Handschuhen, Masken und Desinfektionsmittel versorgt. „Vorher war auch bei uns die Situation eher mau“, sagt der Facharzt für Allgemeinmedizin. Vom Praxisalltag wie man ihn bislang kannte, sei man immer noch weit entfernt und er werde auch nicht so schnell wieder hergestellt werden können.
Noch Ende März wurden Vorsorgeuntersuchungen verschoben oder ganz abgesagt. Die Mitarbeiter wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, die sich die Arbeit in der Praxis im wöchentlichen Wechsel aufteilen, um im Falle einer Infektion, zumindest eine gesunde Mannschaft an Bord zu haben. Dennoch hatte die Corona-Krise auch wirtschaftliche Auswirkungen: „Wir haben einen Einbruch bei der Patientenzahl zu verzeichnen. Im April waren es fast 30 Prozent weniger als üblich“, sagt Schmauß. Im Wartezimmer, das sonst Platz für bis zu 20 Personen bietet, stehen derzeit nur sieben Stühle. Weit auseinander platziert versteht sich. Zudem hat die Praxis eine Videosprechstunde eingeführt.

Videosprechstunde hat sich etabliert 

„Corona beschleunigt auch bei uns die digitale Entwicklung“, sagt der Mediziner. Diese Art der Konsultierung wurde gleich gut angenommen und biete eine sinnvolle Alternative für Anliegen, für die eine physische Anwesenheit nicht zwingend nötig ist. Schmauß: „Man kann Laborwerte besprechen, weitere therapeutische Schritte einleiten, Blutdruck und Blutzucker Dokumentationen durchgehen, bis hin zur Beurteilung der Wundheilung.“ Doch hauptsächlich wurde mit den Patienten in der Corona-Hochphase telefoniert. „Unglaublich viel und lange. Wir haben einige Aufklärungsarbeit geleistet, viele Missverständnisse und Fehlinformationen ausgeräumt und die Menschen schlichtweg beruhigt“, sagt Schmauß, der überzeugt ist, dass alle Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung richtig waren.

Auf eine mögliche zweite Infektionswelle sind die Praxen vorbereitet

Weitestgehend einig sind sich die Mediziner, dass die Flut an Informationen und die massive Corona-Berichterstattung in den Medien die Angst bei vielen Menschen zusätzlich verstärkt habe. „Als medizinischer Laie ist man gar nicht in der Lage, dies alles irgendwie richtig einzuordnen“, sagt Farnik. Diese Angst sei mittlerweile allerdings etwas abgeebbt. Grund genug für die Mediziner, immer wieder vor einer Ansteckung durch Corona zu warnen und auf die bekannten Hygieneregeln hinzuweisen.
Auf eine mögliche zweite Infektionswelle sind die Praxen vorbereitet. So rechnet Konrad Binder damit, dass etwa die hohen Temperaturen im Sommer zu einer eher laxen Auslegung der Maskenpflicht führen könnte. Auch die Öffnung der Kitas und Grundschulen berge ein entsprechendes Risiko. Christian Schmauß erwartet eine weitere kritische Phase im Herbst, wenn die klassische Erkältungszeit wieder beginnt: „Eine Vorhersage ist unglaublich schwer. Aber wenn sich die Menschen an die bekannten Hygieneregeln halten, glaube ich, können wir das Virus gut in Schach halten.“

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