Liederatur: Siggi Liersch spielt exklusiv für die Mitglieder des Hospizvereins

Gesellschaftskritik und Poesie mit einer Prise Humor

Mit seiner „Liederatur“ begeisterte Siggi Liersch im Walldorfer Kino „Lichtblick“ das Online-Publikum an den Bildschirmen. Foto: FA

Mörfelden-Walldorf – Auch für die Ehrenamtlichen und Mitglieder des Hospizvereins Mörfelden-Walldorf ist die Corona-Pandemie eine harte Zeit. Die Betreuung der ihnen anvertrauten Menschen ist nicht so gut möglich wie noch in der Zeit vor dem Virus.
Deshalb wollten die Vorsitzende des Vereins Margot Renner und die hauptamtliche Koordinatorin Cornelia Sengling den Ehrenamtlichen und Mitgliedern eine Freude machen. So konnte der Mörfelden-Walldorfer Lyriker Siggi Liersch mit seinem Programm „Liederatur“ für einen Auftritt gewonnen werden.

„Toll ist auch, dass er unsere Programmwünsche aufgenommen hat“, sagt Renner. Für sein Engagement verlangte Liersch kein Honorar: „Ich will damit auch meine Anerkennung für den Hospizverein und seine Arbeit zeigen“, betont der Künstler. 
Der Auftritt war nicht öffentlich, sondern wurde kürzlich in einem internen Rahmen per Live-Streaming in 36 Wohnzimmer von Ehrenamtlichen und Mitgliedern des Hospizvereins Mörfelden-Walldorf übertragen. Diese hatten rund eine Stunde lang ihre Freude. Die Presse war zur Veranstaltung ebenfalls eingeladen. Veranstaltungstechniker Rene Papp sorgte für die Bild- und Tonübertragung, das Walldorfer Kino „Lichtblick“ rund um das Team von Ottmar Schaffner stellte die Räumlichkeiten.
Liersch nutzte die Gelegenheit, um zur Solidarität mit dem Kino aufzurufen. Er wies auf die Homepage https://shop.spreadshirt.de/lichtblick hin, wo Produkte wie T-Shirts oder Tassen mit Bezug zum „Lichtblick“ erworben werden können. Der Erlös kommt dem Kino in einer schweren Zeit zugute. Zudem ist es derzeit möglich, mit dem „Lichtblick“ Termine zu vereinbaren, um Gutscheine für einen Kinobesuch zu erwerben. Alle hoffen, dass das Kino möglichst bald wieder öffnen kann. 
Siggi Liersch zeigte etwas mehr als eine Stunde lang sein großes Repertoire. Hierbei wechselte er zwischen Liedern und Gedichten, wobei er mit einem verschmitzten Lächeln erläuterte: „Aus so manchem Gedicht ist im Verlauf der Jahre ein Lied geworden und umgekehrt.“ Liersch liebt es, seinen Werken neue Noten hinzuzufügen. Bei den Liedern ist dies sogar wörtlich zu nehmen. Nach langen Stücken setzte Liersch meistens auf kurze Werke. Nach ernsten Liedern und Gedichten folgte ein humorvoller Beitrag. Nach Gedichten in Reimen folgten solche ohne. Liersch weiß, was die richtige Mischung ist.
Nach dem Konzert gestand er jedoch im telefonischen Interview eine Sache, an die er sich auch als Profi nicht gewöhnen kann und will: „Das Publikum vor Ort fehlt einem Künstler sehr.“ Es muss in der Tat schmerzen, keinen Schlussapplaus erhalten zu können. Dafür erhielt Liersch immerhin das Maximum des möglichen Beifalls in Corona-Zeiten – viele begeisterte Kommentare im Chat nach dem Online-Konzert.
Trotz der Vielfalt der Gedichte und Lieder Lierschs ist ihnen eines gemeinsam: Sie sind stets geistreich und regen zum Nachdenken an. Zudem würzt sie Liersch oft mit einer Prise Humor. Ein gutes Beispiel war gleich das erste vorgetragene Werk, die „Ballade von Frankfurt nach Walldorf“. Hier zeigt der Lyriker zudem seine Beobachtungsgabe. „Wenn die Menschen auf den Bänken / Schwatzen, gaffen und sich kränken / Oder langgedehnt auch gähnen / Sich nach Feierabend sehnen // Handyplappernd heimwärts schreien / Dass sie schon am Stadion seien / Und sie sind nur zwei Stationen / Fern dem Ort, wo laut sie wohnen.“ Auch einen kritischen Blick zeichnet den Autor aus: „So will ich nach Walldorf fahr‘n / Raus aus Frankfurts Bankenwüste / Hin zu Walldorfs Schlafstadt-Küste // Niederrad – ein erster Halt / Freier Blick, es fehlt der Wald.“ Liersch betonte, dass ihn die Auseinandersetzungen um die Startbahn West tief geprägt hätten. 
Ein weiteres Beispiel für die geistreiche Gesellschaftskritik und gefühlvolle Poesie des Lyrikers ist das Gedicht „Kinokarten“. Dieses trug Liersch ebenfalls vor, was gut zum Veranstaltungsort passte. So heißt es dort in den letzten drei Strophen: „Wer hat die Götter verscheucht / weit aufs Meer und in die Wüste? / Lass uns eine neue Erde suchen // Hinter dem Rücken kreuzen wir / die Finger bis zum Hals / mit dem Mut zur Treue // Die Rosen brechen entzwei / wie verschimmelte Kinokarten / Ihr Staub träumt uns frei.“ Von Alexander Koch

 

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