Kikeriki-Theater lässt in der Stadthalle Walldorf die Sau raus

„Erwin, ein Schweineleben“ begeisterte am Freitag rund 400 Gäste

SAUSTARKE HELDEN: Erwin mit Herzdame Margarete. (Foto: Friedrich)

 

Mörfelden-Walldorf (ula). Nicht nur dem Sport, auch der (Lach-) Kultur fühlt sich der SV Rot-Weiß Walldorf verpflichtet. Und das schon lange, bevor sich vor Kurzem eine Fastnachtsabteilung an die Rot-Weißen angedockt hat. Dass bei der jüngsten Kulturoffensive des Sportvereins vor allem die Lachmuskeln tüchtig trainiert werden, liegt in der Natur des Frontalangriffs aufs Zwerchfell: In der Stadthalle gastierte das Kikeriki-Theater.

Eber Erwin hat die Schnauze voll

Seit Längerem gelingt es dem Verein, das Kikeriki-Ensemble zum zweitägigen Gastspiel in Walldorf zu buchen. Im Zweijahresturnus zeigt das Darmstädter Kult-Ensemble aus der Comedy Hall Puppenspiele für Erwachsene, diesmal einen saumäßig starken Klassiker: „Erwin, ein Schweineleben.“
Freilich, der Inhalt des Bühnenstücks ist in wenigen Minuten erzählt. Eber Erwin, des Lebens auf dem sächsischen Bauernhof überdrüssig, hat die Schnauze voll. Verlässt Hof und Schweinedame Margaretschen, um unter zwielichtigen Gestalten im Untergrund der Rattakomben mal richtig die Sau rauszulassen. Doch, au Schwarte, die saumäßige Partykarriere geht nach hinten los. Erwins freundliche Person wird auf Äußerlichkeiten, Schweinespeck und Rostbraten, reduziert. Seine späte Einsicht, zu Weib und Hof zurückzukehren, endet nicht mit einem Happy End. Das Transparent „Morgen großes Schlachtfest“ deutet im Finale des Bühnenwerks das künftige Schicksal der rosafarbenen Protagonisten im Schweinehimmel an.
Tragisch? Keine Spur. Auf der Zielgraden zum dramatischen Ende haben Besucher allenfalls Lachtränen vergossen. Denn das Ensemble gibt alles. „Dem Volk aufs Maul schauen und beim Wiedergeben kein Blatt vor den Mund nehmen“, frei nach der Philosophie des Hauses wird das Publikum in einem rasanten Schwall grantelnder, blödelnder, bisweilen irrwitziger Wortergüsse mitgerissen. Die Figuren tun ihr übriges dazu: Ein sexsüchtiger Regenwurm (Fummel-Joe), zwielichtige Ratten mit faschistischem, fußamputiertem Nagerboss und ein rappender, blinder Maulwurf mit Cinema-Faible interagieren auf der Puppenbühne. 

Verbal-Gemetzel in den Rattakomben

Im Gehe(ä)ssischen Hoftheater fallen Tabus, Anstand und gesellschaftliche Etikette. Brillant: Das Verbal-Gemetzel der beiden Nager in den Rattakomben, die inhaltlich ein breites Spektrum ausschöpfen: Vom Fußschweiß und einem Sausparvertrag über Angela Merkels Unterwäsche, Vorhautflimmern und dem Frankfurter AWO-Skandal – all das im Darmstädter Mundart-Slang, versteht sich. Aktuelle Politik wird ebenso eingewoben wie die Pandemie durch das Coronavirus: „Ich bremse auch für hessische Nudelhamsterkäufer“, keift es hinter der Bühne, wo die Puppenspieler ihre Figuren in Stellung bringen. Was gleichzeitig die Frage aufwirft: „Schmecken Nudeln mit Klopapier?“ 
Das selbst ernannte „bekloppteste hessische Theater“ ist nach 40 Jahren Comedy keine Spur leiser geworden. Und nach 10 400 Vorstellungen vor über zwei Millionen Gästen weder zahmer noch um Gags ärmer. Mit dem südhessischen Comedyfeuerwerk um Schwartenheld „Erwin“ bleibt das Kikeriki-Theater seinem Motto treu: Kurzweilige Unterhaltung mit Zwerchfellalarm – bis die Schwarte kracht.

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