Blick aufs Verschwinden einer Kultur

Philipp Hannappel und Timo Jaworr fotografieren „Die letzten Indianer von Sachalin“

DIE FOTOGRAFEN Philipp Hannappel (rechts) und Timo Jaworr zeigen im Kulturbahnhof ihre Ausstellung über das Volk der Niwchen. Für die Aufnahmen reisten sie zwei Mal in den Osten Sibiriens. (Foto: Schwappacher)

Mörfelden-Walldorf. Geschichten über indigene Völker sind oftmals geprägt vom Verschwinden ihrer Kultur, Zwangsumsiedlungen, Perspektivlosigkeit und der Gefangenschaft zwischen Tradition und Moderne.

Die Fotoausstellung „Die letzten Indianer von Sachalin“ kann da leider nichts anderes dokumentieren. Zwei Mal waren Philipp Hannappel und Timo Jaworr für eine Studienarbeit im fernsten Osten Sibiriens auf der Insel Sachalin, wo sie nach anfänglichen Schwierigkeiten am Leben der Niwchen teilhaben konnten. Nur noch rund 5000 Angehörige des indigenen Volks leben heute in Russland, viele davon in dem kleinen Dorf Nekrasovka.
Um dorthin zu gelangen, nahmen die beiden Fotojournalisten eine dreitägige Anreise in Kauf. Ohne Russisch zu sprechen, ohne einen direkten Kontakt zu den Niwchen. Wenn man erst mal angekommen ist, wird es schon irgendwie gehen, dachten sich die beiden. Tatsächlich funktionierte es. Die Ergebnisse kann man nun im Kulturbahnhof anschauen.
Die Fotografien haben einen klaren dokumentarischen Stil. Sie halten eine gewisse Distanz und sind dennoch nah an den Menschen. Gezeigt werden unverstellte Szenen am Esstisch, Jugendliche, die ihre Zeit totschlagen und immer wieder Aufnahmen von Strand und Meer. Letzteres hat für die Niwchen zentrale Bedeutung, sind sie doch ein Volk von Fischern. 
Als Halbnomaden zogen sie einst mit Hundeschlitten übers Land und lebten von dem, was ihnen das Meer zu bieten hatte. Heute gelten strenge Fangquoten, die nicht zum Überleben reichen und daher missachtet werden. Die Niwchen mussten sesshaft werden, versuchen teilweise aber noch immer wie ihre Ahnen zu leben, schilderten die Fotografen.
„Ihre Rituale und die Sprache sterben mit den Ältesten aus“, sagte Jaworr. In der Schule wird die Sprache der Niwchen nur halbherzig gelernt, im Dorf Nekrasovka trafen die Studenten auf gerade einmal drei Indianer, die wie ihre Vorfahren sprechen können. „Es ist fast schon zu spät“, meinte Hannappel mit Blick auf ein Bewahren der Kultur. Auch, weil das kleine Volk keine gemeinsamen Ziele verfolge. 
So fehle es den Menschen an einer Perspektive, was man besonders der Jugend anmerke. Stark eingebunden in den Fischfang und die Familie, erlebten die Teenager ein beschwerliches Dasein und hätten kein Auskommen. Eine Arbeit außerhalb der traditionellen Strukturen gibt es in ihrem Dorf nicht. „Jeder Job ist fünf Stunden mit dem Auto entfernt“, sagte Hannappel. 
Die Niwchen stecken in dem Dilemma, auf ihre Vergangenheit und Geschichte angewiesen zu sein, ohne einen Weg in die Zukunft zu sehen. Die Ausstellung schafft es, ihren rauen und naturverbundenen Alltag einzufangen. Eine Perspektive kann aber auch sie nicht aufzeigen. So lassen einen die Bilder mit einem traurig-melancholischen Gefühl zurück.
Die Fotografen wird das Schicksal der Niwchen weiterhin beschäftigen. Nach zwei Reisen im Sommer soll es möglichst noch in diesem Winter erneut nach Nekrasovka gehen. Dann herrschen zweistellige Minusgrade und das Meer ist zugefroren. Der Alltag der letzten Indianer von Sachalin zeigt sich dann von einer ganz anderen Seite. (seb)

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