Aktion Toleranz ruft zu Mut und Zivilcourage gegen Rechts auf

Gedenken an die Pogrome 1938 - Demokratie am Scheideweg

KUNDGEBUNG am Standort der ehemaligen Synagoge in Mörfelden: Rund 120 Menschen folgten dem Aufruf der „Aktion Toleranz“ am Gedenkstein. Städtische Vertreter legten einen weiteren Kranz an der Gedenkstätte des KZ Außenlagers in Walldorf nieder. (Foto: Friedrich)

Mörfelden-Walldorf (ula). Im Jahr 1829 wurde die Synagoge in der Langgasse in Mörfelden eingeweiht. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, lebten 39 Menschen jüdischen Glaubens in Mörfelden.

Gedenkstein wurde 1984 enthüllt

Ihr Gotteshaus wurde 1936/37 von der Hitler-Jugend zerstört. Am 2. September 1984 wurde am Standort der ehemaligen Synagoge ein Gedenkstein enthüllt – um zu erinnern und zu mahnen. Besonders am 9. November rückt die Gedenkstätte in den Fokus. Seit 26 Jahren ruft die „Aktion Toleranz“ dort am Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1938 zur Kundgebung auf. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“, zum diesjährigen Aktionstag lässt Nina Weller vom Aktionsbündins Berthold Brecht sprechen. Rund 120 Menschen säumen den Gedenkstein in großem Radius. Die Langgasse ist extra für die Veranstaltung abgesperrt. Jiddische (Kriegs-) Lieder aus Osteuropa, zusammengetragen von Moishe Beregowskis, erklingen. Sie zeichnen ein akustisches Bild von Gewalt, Kummer und Pein. Es ist kalt.
Das Brecht-Zitat klingt nach, ja der in den 40er Jahren entstandene Vers spiegelt aktuelle Entwicklungen in Deutschland. Während der Kundgebung in Mörfelden marschieren in Bielefeld Rechtsextremisten auf. Einige Wochen zuvor wird in Halle ein Anschlag auf eine jüdische Synagoge initiiert, bei dem zwei Menschen sterben. Nach dem Besuch des Konzentrationslagers Buchenwald spielen Jugendliche im Bus antisemitische Lieder. Gedenkstätten werden beschädigt, „es erstarken Parteien, die die größten Brandstifter schützen“, sagt Ilona Klemens, Hochschulpfarrerin in Mainz und Hauptrednerin. „Das Nachkriegsdeutschland erlebte schon viele rechtsextreme Ausschreitungen, aber das aktuelle Ausmaß ist neu! Unsere Demokratie steht an einem Scheideweg.“

Erinnerungskultur für die Zukunft rüsten

Die Geistliche warnt: „Der Holocaust lässt sich nicht auf ein Geschichtskapitel reduzieren“. Es sei die große Aufgabe, die nun geschaffene Erinnerungskultur für die Zukunft zu rüsten. „Die Gefahr von Rechts will diese Erinnerungskultur abschaffen“, betonte Ilona Klemes, und suchte gleichzeitig nach Antworten, in einer jungen Generation das Bewusstsein für Vergangenes zu bewahren. Für nachwachsende Generationen müssten neue, auch andere Ansätze gefunden werden, die Geistliche geht einen Weg der Empathie, des (Mit-) Fühlens. „Was hat Sie berührt?“ die rhetorische Frage ans Publikum beantwortet sie selbst: Menschen und ihre Schicksale. „Es ist gut und wichtig, dass es solche Veranstaltungen gibt“, einen jungen Mann berühren die Worte. „Ich wohne erst seit Kurzem in Mörfelden, habe in der Zeitung von der Veranstaltung gelesen.“ Dass er muslimischen Glaubens ist, tue nichts zur Sache, der Imperativ der Liebe und des Friedens machen aus allen Religionen eine. Ein weiteres Zitat wird angeführt: „Die Orte der Erinnerung sind die Menschen, nicht die Denkmäler“, sagte einst der Konzeptkünstler Jochen Gerz. Ilona Klemens rief auf zu Mut und Zivilcourage, um sich gegen die Gefahr des neu erstarkten Faschismus und Rechtsradikalität zu stemmen. Worte, die am Standort der ehemaligen Synagoge bereits ähnlich formuliert wurden. Bürgermeister Bernhard Brehl bei der Einweihung des Gedenksteins: „.. auf dass wir die Kraft haben, solches in Zukunft zu verhindern!“

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