Schwitzen im Schutzanzug

„Chemieunfall“ auf dem Rathausplatz: Feuerwehr Kelsterbach probt den Ernstfall

EINMAL DEKONTAMINIEREN BITTE: Bei ihrer Abschlussübung auf dem Rathausplatz stellte die Freiwillige Feuerwehr einen Unfall mit Gefahrgut nach. Auch Chemikalienschutzkleidung kam dabei zum Einsatz. (Foto: Postl)

Kelsterbach (pos). Alarm am Rathaus! Dort war am Samstagmorgen aus blauen Fässern eine unbekannte Flüssigkeit ausgetreten, eine Person lag verletzt am Boden. Schon heulte die Sirene und wenige Minuten später rückten die Einsatzkräfte der Feuerwehr mit Blaulicht an.

Einen glücklicherweise nicht alltäglichen Ernstfall probte die Freiwillige Feuerwehr Kelsterbach bei ihrer Abschlussübung auf dem Rathausplatz. Allerdings: Im April 2018 hatte es an der Integrieren Ganztagsschule (IGS) einen Unfall mit Brom im Chemieunterricht gegeben, bei dem sieben Schüler leicht verletzt wurden. Damals waren rund hundert Helfer der umliegenden Wehren und Rettungsdienste im Einsatz gewesen – mit Schutzanzügen, die nun auch bei der Abschlussübung zum Einsatz kamen. Wie gut die Helfer vorbereitet sind, demonstrierten sie nun vor zahlreichen interessierten Bürgern. Fixpunkt der Übung war ein Anhänger, der mit verschiedenen Fässern beladen war, eins davon leckte und eine bewusstlos gewordene Person lag daneben. Wie so ein Einsatz im Erstfall ablaufen würde, erläuterte Stadtbrandinspektor Thomas Heller den Zuschauern, die so einen guten Einblick in die Arbeit der Wehr erhielten. Als erstes am Ort ist immer das Einsatzleitfahrzeug, diesmal mit Einsatzleiter Kai Hardt an Bord, der die Lage inspizierte.

„Menschenrettung hat immer Vorrang“

Seine Erfahrung sagte ihm, dass hier eine „unbekannte Gefahr“, in Form einer nicht ungefährlichen Flüssigkeit, zu bannen ist. „Es wäre ja töricht, wenn der Einsatzleiter dorthin stürmt und versucht, die am Boden liegende Person aus dem Gefahrenbereich zu ziehen – was ja theoretisch möglich wäre“, erläuterte Heller. Erster Schritt der Helfer mit Atemschutzausrüstung war, die verletzte Person aus dem Gefahrenbereich zu bringen. „Menschenrettung hat immer Vorrang“, begründete der Stadtbrandinspektor das Vorgehen. Weiter wurde eine Sicherheitszone von 50 Metern abgesperrt und die „verletzte Person“ – in diesem Falle eine Puppe – gerettet, erstversorgt und an den Rettungsdienst übergeben. Mittlerweile hatte sich ein weiterer Einsatztrupp mit Atemschutzgerät und Chemikalienschutzkleidung ausgerüstet. Immer in Verbindung mit dem Einsatzleiter stehend näherten sich die Einsatzkräfte der Gefahrenstelle und ermittelten, welche Flüssigkeiten sich in den Behältern befanden, und wie viel ausgelaufen war. „Wir müssen in solchen Fällen entscheiden, ob wir Auffangbehälter aus Kunststoff verwenden können oder Edelstahl verwenden müssen“, erklärte Heller. Die Hinweise auf den Fässern werden im Ernstfall verifiziert, entweder per Internet oder durch Nachlagen in einem Gefahrgut-Handbuch.

Maximal zehn Minuten im Schutzanzug

„Obwohl es nach einer kleinen Einsatzstelle aussieht, sind wir mit einem kompletten Einsatzzug gekommen, es könnten sich ja weitere Szenarien entwickeln“, berichtete Heller. Über das weitere Vorgehen entscheidet die Konsistenz der Flüssigkeiten. So könnten sich Dämpfe oder Brände entwickeln oder sogar die Gefahrenstoffe in den Boden oder die Kanalisation gelangen. Mit dem Fernglas oder mittels Wärmebildkamera wurde zunächst versucht, das Gefahrgut zu identifizieren. Die Wehr entschied sich diesmal für ein sicheres Vorgehen in kompletter Vollschutzausrüstung. „Das Arbeiten in solchen Anzügen gleicht einer Schwitzsauna, maximal zehn Minuten ist das auszuhalten, dann bleiben noch ein paar Minuten für die Dekontamination“, erläuterte Heller. Recht schnell hatten die Einsatzkräfte das Leck verschlossen, um ein weiteres Auslaufen der Flüssigkeit zu verhindern. „Manchmal dauert aber die Nacharbeit länger als der Einsatz selbst“, verwies der Stadtbrandinspektor auf die unabdingbare Dekontamination von Material und Mensch. Nach dem Abspritzen der Schutzanzüge und Auffangen der kontaminierten Waschflüssigkeit in einem speziellen Behälter, folgte die Reinigung der Einsatzkräfte selbst. „Normalerweise müssen die sich nackig machen, aber diese Freude machen wir ihnen heute nicht“, scherzte Thomas Heller am Ende der gelungenen Abschlussübung, die das praktische Ausbildungsjahr der Wehr beendete. Im Winterhalbjahr wird nun an den Dienstabenden der Fokus auf Unterricht und Fortbildung gelegt.

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