Ein Reifen aus Stahlgeflecht

Stadtmuseum zeigt Ausstellung mit historischen Fahrrädern, Plakaten und Zubehör

AN SEINEM HOCHRAD steht Michael Mehlinger (Zweiter von links), daneben Hartmut Blaum (Volksbildungswerk, im roten Pulli) und Dieter Döbler an seinem Zeppelin-Fahrrad mit Bärchen „Max“ im Körbchen. (Foto: Postl)

Kelsterbach. Der Drang des Menschen nach immer schnellerer Fortbewegung trieb zu Boden und in der Luft schon immer ungewöhnliche Blüten. Von einst hölzernen Laufrädern zu den heutigen, meist aus federleichten Karbon-Rahmen gefertigten Fahrrädern war es ein weiter Weg.

Das Heimatmuseum zeigt nun in einer Ausstellung einen historischen Abschnitt der Entwicklung, die als Blütezeit der deutschen Fahrradindustrie gelten kann. Bereits vor dem ersten Weltkrieg gab es die heutigen Fahrräder mit Stahlrahmen. Dann folgte eine Zäsur, da es an Rohstoffen, insbesondere Kautschuk mangelte, bis schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg das „Volksfahrrad“ zum wohl meist genutzten Fortbewegungsmittel wurde – bevor die Automobilproduktion richtig „in Fahrt“ kam. 
Man staunt heute über die Szenen in alten Schwarz-Weiß-Filmen, in denen sich befrackte Herren auf Hochräder schwingen und gemächlich über holprige Straßen rollen. Ein solches Hochrad stellt jetzt Sammler Michael Mehlinger im Museum aus. „Es wurde auf dem Dachboden eines Weingutes in Hochheim gefunden und die Besitzer wollten es los werden“, schildert Mehlinger, wie er per Zufall zu dem Rad gekommen war. Er schwingt sich jedoch nicht mehr auf das historische Fortbewegungsmittel und bewundert vielmehr den Mut jener, die damit unfallfrei unterwegs waren. Interessant auch, dass die Hochradfahrer meist eine Tasche voller „Knallfrösche“ oder auch eine Peitsche dabei hatten, um Hunde oder Hühner zu vertreiben.
Ein weiteres Rad in der Ausstellung des Heimatmuseum erregt besonderes Aufsehen. Es hat als „Bereifung“ hinten ein Eisenband und vorne, was noch viel ungewöhnlicher ist, einen „Reifen“ aus Stahlgeflecht – ähnlich einer Schneekette. „Hier kann man wirklich sagen: Not macht erfinderisch“, meint Manfred Teichfuß dazu. 
Als nach dem Ersten Weltkrieg die deutschen Kolonien verloren gingen, versiegte auch der Nachschub vieler Rohstoffe, insbesondere Kautschuk. „Also war der deutsche Erfindergeist gefragt und man erdachte sich einen Reifenersatz“, bringt es Teichfuß auf den Punkt. Der Sammler aus Königstädten ist ein bewanderter Kenner der Geschichte der deutschen Fahrradindustrie.
Der Kelsterbacher Dieter Döbler, lange Jahre selbst Fahrradhändler mit eigener Werkstatt, hat ebenfalls ein ganz besonderes Fahrrad in seinem Besitz, das in der Ausstellung nun zu sehen ist. Sein Vater war ein Zeppeliner und die Zeppelin-Reederei hatte eigene Fahrräder in Auftrag gegeben. „Mein Zeppelin-Fahrrad stammt aus der Produktion der Fahrradfabrik Doppel-Rad in Mainz und wurde unter Lizenz des Patentamtes in München hergestellt“, berichtet Döbler. Das „Doppel-Rad“ war besonders im Rhein-Main-Gebiet weit verbreitet. 
„Die Region hier um Frankfurt hatte früher – nach Bielefeld – die zweitgrößte Fahrradproduktion“, verwies Manfred Teichfuß auf Produzenten wie Opel, Adler, Mayweg oder Kleyer. Ganz bekannt war die Marke „Frischauf“ die von den Nazis abgeschafft wurde, da der Name, mehr aber noch der Geist dahinter, nicht in das System passte.
Einzig bis heute überlebende deutsche Groß-Produktionsstätte ist die der Mitteldeutschen Fahrradindustrie. „Wenn jedoch die Bestellungen eines großen Discounters nicht wären, der immer wieder Großaufträge erteilt, wäre sie wohl auch längst verschwunden“, schildert Manfred Teichfuß das harte Schicksal im globalen Wettbewerb. 
In der sehr interessanten Ausstellung, die auf Anregung von Museumsleiter Hubert Schöggl zustande kam, sind zahlreiche Dokumente, Plakate und Zubehörteile zu sehen.
Geplant ist auch eine Ausfahrt mit historischen Rädern , ein Termin dafür steht jedoch noch nicht fest. Die Ausstellung ist vorerst bis zum 12. April während der Öffnungszeiten des Museums sonntags zwischen 14 und 17 Uhr und mittwochs zwischen 14.30 und 17 Uhr zugänglich. (pos)

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