Mit Mut gegen das Nazi-Regime

Ausstellung in der Bibliothek beleuchtet das Schicksal junger Widerstandskämpfer

EIN VORBILD AUCH HEUTE NOCH sind die Jugendlichen, die sich im Dritten Reich gegen das Nazi-Regime auflehnten. Die verschiedenen Formen des Widerstands junger Menschen beleuchtet die Ausstellung „Es lebe die Freiheit“ derzeit in der Stadt- und Schulbibliothek. (Foto: Scherer)

Kelsterbach. Sie verteilten Flugblätter gegen die Lügen der Nazi-Propaganda und den Krieg, retteten jüdische Kinder vor der Deportation in die Konzentrationslager oder sabotierten Rüstungstransporte für Soldaten. 

Nur wenige junge Menschen wagten es, im sogenannten Dritten Reich Widerstand gegen das Hitler-Regime zu leisten, viele bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben. Denjenigen, die den Mut hatten, sich den Nazis entgegenzustellen, ist die sehenswerte Ausstellung „Es lebe die Freiheit! Jugendliche gegen den Nationalsozialismus“ gewidmet.
Zu sehen ist die 26 Informationstafeln umfassende Ausstellung, herausgegeben vom Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945, noch bis Freitag, 8. Juni, in der Stadt- und Schulbibliothek. 
Der Widerstand junger Menschen im Dritten Reich sei als Thema lange Jahre kaum beleuchtet worden, sagte die stellvertretende Bibliotheksleiterin Christine Reinhardt. Viele Menschen waren Mitläufer und verfielen der Nazi-Ideologie.
Das Regime übernahm Formen von Jugendbewegungen, die es bereits vor der Machtergreifung 1933 gab, und strebte mit Organisationen, wie der Hitler-Jugend (HJ) oder dem Bund Deutscher Mädchen (BDM), die Prägung der Kinder und Jugendlichen mit dem menschenverachtenden Weltbild der Nazis an. 
„Doch es gab Jugendliche, die mit dem Drill und dem Regime nicht einverstanden waren“, so Reinhardt. Vor allem in von den Nazis verbotenen konfessionellen und gewerkschaftlichen Verbänden regte sich früh Widerstand. Doch auch Einzelpersonen lehnten sich auf – und bezahlten einen hohen Preis. 
Es habe nicht viele Menschen gegeben, die sich aktiv gegen die Nazis gestellt hätten. „Aber es gab sie und dazu hat es Mut gebraucht“, so Reinhardt. Das zu zeigen, sei wichtig. 
Die Ausstellung beleuchtet Kindheit und Jugend im gleichgeschalteten Dritten Reich. Internate wurden zur Ausbildung und Rekrutierung von NS-Führungspersonals gegründet. Auch die Freizeit wurde mit den politischen Jugendorganisationen HJ und BDM gleichgeschaltet. Ab 1939 mussten alle 10- bis 18-jährigen Deutschen die HJ durchlaufen. 
Den „typischen“ widerständischen Jugendlichen gab es nicht, manche standen von Beginn den Nazis gegenüber, andere fühlten sich von der Ideologie erst angezogen und wandten sich später ab. Vorgestellt werden unter anderem die Edelweißgruppen, die ihre Freizeit unabhängig von der Staatsjugend gestalteten, und die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, die in München Flugblätter gegen Hitlers Krieg verteilte.
Deren führende Köpfe, Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst, wurden nach einem Schauprozess hingerichtet. Kurz vor seiner Hinrichtung rief Hans Scholl seinen Henkern „Es lebe die Freiheit“ entgegen.
Gnadenlos verfolgt wurden die jüdischen Mitglieder der Baum-Gruppe um Herbert Baum, die mit Flugblättern und an Mauern gemalte Parolen gegen Hitler kämpften. Nur wenige der Baum-Gruppe überlebten, viele wurden, zum Teil in Auschwitz, ermordet. 
Die Stärke der Ausstellung liegt in den Porträts einzelner Aktivisten, die für ihren Widerstand mit dem Leben bezahlen mussten. Marianne Cohn, geboren in Mannheim und selbst Jüdin, schloss sich in Frankreich einer zionistischen Jugendorganisation an, die Kinder und Jugendliche vor der Deportation in die Konzentrationslager rettete und in die Schweiz brachte.
Bei einer Aktion im Mai 1944 wurden die Helfer sowie 30 Kinder von deutschen Zöllnern 
kontrolliert und in ein Gestapogefängnis gebracht. Statt zu fliehen, blieb Cohn bei den Kindern, deren Freilassung der örtliche Bürgermeister schließlich erwirkte. Marianne Cohn wurde im Gestapogefängnis ermordet, ihre Mörder nie zur Rechenschaft gezogen. Sie war 21 Jahre alt.
Der 19-jährige Robert Limpert verfasste Flugblätter, in denen er 1945 zur kampflosen Übergabe seiner Heimatstadt Ansbach auffordert. Als die US-Truppen vor Ansbach standen, durchtrennte Limpert mit einer Zange die Verbindung zwischen der städtischen Einsatzzentrale und der Front, wobei ihn Hitler-Jungen beobachteten und denunzierten. Robert Limpert wurde gejagt, gefasst und auf dem Rathausplatz erhängt. 
Viele Widerständler, die das Nazi-Regime überlebten, wie der ehemalige Funker Lorenz Knorr, der im Sudetenland Rüstungstransporte für die deutschen Soldaten sabotierte, engagierten sich nach Kriegsende für die Aufklärung über das NS-Regime. 
Christine Reinhardt versteht die Ausstellung auch als Aufforderung zum eigenständigen und kritischen Denken. Für IGS-Lehrerin Melika Chahade, die mit ihrer Klasse die Ausstellung besuchte, kann der Mut der jungen Menschen heute als Vorbild dienen, Zivilcourage zu zeigen. „Die Namen der Mitläufer sind unbekannt. Aber die Namen derer, die Widerstand geleistet haben, kennt man. Sie leben so weiter“, sagte Chahade. (nad)

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