"Mir koche vor Wut": Ausstellung würdigt engagierte Frauen im Kreis

Kampf für Gleichberechtigung

FLOTTE MUSIK, NACHDENKLICHE TEXTE: Das Trio LadyBirds aus Frankfurt mit Uta Wagner (Drums), Janina Hacker (Kontrabass) und Heike Michaelis (Gesang und Klavier) umrahmte die Ausstellungseröffnung im Lesecafé der Stadt- und Schulbibliothek. (Foto: Postl)

Kelsterbach (pos). Dass heute Frauen im Stadtparlament, im Landtag oder im Bundestag sitzen, ist engagierten Vorreiterinnen zu verdanken.
Einigen Frauen, die im Kreis Groß-Gerau politisch, aber auch sozial gewirkt und die letzten 100 Jahre mitgeprägt haben, setzt die Ausstellung „Mir koche vor Wut – Engagierte Frauen als Erfolgsrezept für die Politik im Kreis Groß-Gerau“ ein Denkmal.

Die Wanderausstellung, die 2018 zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts vom Büro für Frauen- und Chancengleichheit des Landratsamtes zusammengestellt wurde, ist noch bis zum 20. September in der Stadt- und Schulbibliothek zu sehen. Dort wurde die 19 Schautafeln umfassende Ausstellung vom Ersten Stadtrat Kurt Linnert sowie der „starken Frau“ Waltraud Engelke vom Frauenbüro der Stadt Kelsterbach eröffnet. Bevor Linnert ans Mikrofon treten durfte, gab das Trio LadyBirds aus Frankfurt mit „The March of Women“ von Ethel Smyth, der Hymne der englischen Frauenbewegung, musikalisch die Marschrichtung vor.

Für ein Menschenrecht gekämpft

Mit „Sehr geehrte Herren, sehr geehrte Damen“ zitierte Linnert in seiner Begrüßung genau jenen Wortlaut, mit dem die Sozialdemokratin Marie Juchacz als erste Frau am 19. Februar 1919 vor die Weimarer Nationalversammlung trat. „Ich möchte hier feststellen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist“, hatte Juchacz damals vorgetragen. „Es war ein steiniger Weg für die Frauen und wir sind heute froh, dass er so erfolgreich bewältigt worden ist. Denn was wären wir ohne unsere Frauen“, sagte Linnert. Er verwies darauf, dass die damaligen Frauen nicht für eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Klientel gekämpft hätten, sondern für ein Menschenrecht. „Wir in Kelsterbach sind stolz auf unsere Frauen in der Politik und im Ehrenamt“, betonte Linnert und verwies auf eine eigene Schautafel engagierter Frauen in Kelsterbach. Hier stehen die Stadtverordnetenvorsteherin Helga Oehne, Stadträtin Ursula Will sowie Stadträtin Annerose Tanke als Beispiele für viele weitere. 

„Wenn sich mehr Frauen politisch engagieren würden, wäre vieles einfacher“

„Für mich gibt es nie nichts zu tun“, lautet das Motto von Helga Oehne (CDU). Sie würde gerne als Mentorin junge Frauen begleiten, um ihnen Einblicke in die interessanten, aber auch verantwortungsvollen städtischen und parlamentarischen Arbeiten zu gewähren – freilich mit dem Ziel, ihr Interesse zu wecken. Oehne war von 2006 bis 2011 stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin, seit 2011 leitet sie die Sitzungen des Parlaments als Vorsteherin. „Überwiegend sind es Frauen, die sich sozial engagieren“, stellte Ursula Will (SPD) fest. Neben ihrem Engagement als Stadträtin ist sie seit 22 Jahren bei den „Sozialen Power Damen“ aktiv. Zudem findet man sie als Helferin in der Kleiderkammer und der Tafel. „Wenn sich mehr Frauen politisch engagieren würden, wäre vieles einfacher“, ist Stadträtin Annerose Tanke von der Wählerinitiative Kelsterbach (WIK) überzeugt. Über die Bürgerinitiative gegen den Waldverkauf für die Landebahn Nordwest an den Flughafenbetreiber Fraport kam Tanke zur Politik, wo sie für die WIK aktiv ist. „Mir ist es wichtig, Dinge nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und hartnäckig am Ball zu bleiben, wenn es um die Sache geht“, begründete Tanke ihre Motivation.
„Es gibt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen gibt. Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es dann der Mann dürfen“, zitierte die städtische Frauenbeauftragte Waltraud Engelke die Schriftstellerin Hedwig Dohm.
Das aktive und passive Wahlrecht für Frauen trat im November 1918 in Kraft und am 19. Januar 1919 nahmen 92 Prozent der wahlberechtigten Frauen ihr hart erkämpftes Recht wahr und wählten erstmals in Deutschland. „Damals kandidierten 300 Frauen, und 37 wurden schließlich in den Reichstag gewählt. Ihnen gegenüber standen 386 männliche Abgeordnete“, berichtete Engelke.

Niedriger Frauenanteil in der Politik

Fast 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland regiert mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Frau Deutschland und wird als mächtigste Frau der Welt bezeichnet. Gerade aus deutscher Sicht ein besonderes Beispiel für die Gleichstellung von Frauen. Dennoch verwies Engelke darauf, dass der Anteil von Frauen im Deutschen Bundestag und den Landesparlamenten so niedrig wie vor 20 Jahren sei. „Auch in den Rathäusern sind Bürgermeisterinnen ein seltener Anblick“, betonte Waltraud Engelke. Auf den Schautafeln der Ausstellung wird sowohl der schwierige geschichtliche Weg der Frauen zur Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder einer mündigen Gesellschaft als auch besondere Beispiele von „Frontfrauen“ im Kreis Groß-Gerau dargestellt. Schon der Titel der Ausstellung „Mir koche vor Wut“ bezieht sich auf engagierte Frauen, nämlich auf ein Lied der Küchenbrigade Mörfelden-Walldorf, die für alle jene kochte, die gegen den Bau der Stadtbahn West demonstrierten. Nachdenkliche Texte steuerten die LadyBirds zur Ausstellungseröffnung bei. Die drei Damen sangen das Lied „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“, in dem es weiter heißt „und raus mit’n Männern aus dem Landtag, und raus mit’n Männern aus dem Herrenhaus, wir machen draus ein Frauenhaus“. Der Text wurde 1926 von Friedrich Hollaender, einem Mann, verfasst.

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