Die Macht der schönen Worte

Hundert begeisterte Zuhörer beim zweiten Kelsterbacher Poetry Slam in der Bibliothek

ÜBER WORTGEWALT slammte Luisa Münch, die Siegerin des Wettstreits. (Foto: Scherer)

Kelsterbach. Es war ein völlig neuer Weg, den das Volksbildungswerk (VBW) im letzten Jahr mit seinem ersten Poetry Slam gegangen ist – mit Erfolg. Rund siebzig Zuhörer kamen letztes Jahr zum ersten Dichterwettstreit in die Stadt- und Schulbibliothek. Bei der Neuauflage konnte der Verein den Erfolg nun mit hundert begeisterten Gästen noch toppen.

„Wir wollen einfach mal eine andere Art von Kultur nach Kelsterbach bringen und neue Wege ausprobieren“, sagte der VBW-Vorsitzende Hartmut Blaum. Er freute sich darüber, dass der Verein mit dem Poetry Slam auch eine neue Zielgruppe erreiche, die sonst selten zu Veranstaltungen des VBW kämen. Auf die Bühne stiegen 13 Slammer, unter ihnen auch zehn Dichter, die schon länger in der Szene unterwegs sind. 
Moderator des Wortspektakels war wie im Jahr davor Lars Ruppel, der 2014 Deutscher Poetry-Slam-Meister wurde und mit seinen Gedichten über Redensarten Aufsehen erregt hatte. Erlaubt sind beim Dichterwettstreit alle Text- und Vortragsarten. „Es muss aber selbst geschrieben sein“, so Ruppel, der seit etwa 2002 Poetry Slam macht, bereits Hessische Meisterschaften und Workshops an Schulen organisiert hat sowie Initiator des Alzheimer-Poesie-Projektes „Weckworte“ ist. Nicht erlaubt beim Slammen sind Verkleidungen und Hilfsmittel.
Ruppel selbst nahm am Wettstreit nicht teil, stimmte aber das Publikum ein und erklärte die Regeln. Sechs Minuten Zeit habe jeder Teilnehmer für seinen Vortrag. „Sie haben ja gar keine Ahnung, was Ihnen blüht“, scherzte Ruppel. Da sich so viele Dichter angemeldet hätten, drohe dem Publikum der „Morbus Goethe“. 
Eine mehrköpfige Jury aus dem Publikum bewertete die Vorträge mit Punkten von eins bis zehn. Das Los bestimmte die Reihenfolge der Slammer. Als erste auf die Bühne durfte Safae Cherrati, die sich mit drei Freundinnen spontan zum Slam angemeldet hatte. Die 16-Jährige hatte bisher nur an Slams in ihrer Schule teilgenommen. „Ich schreibe gerne Texte über Dinge, die mich bewegen. Das will ich mit den Leuten teilen“, so Cherrati, die sich auf der Bühne frech als „Quoten-Kanakin“ vorstellte. Ihr Gedicht „Keine Worte“, in dem sie die Schwierigkeit beschreibt, jemandem seine Gefühle zu gestehen, begeisterte das Publikum. 
Um Liebe, Zukunftsängste und Respekt drehten sich die Texte, die in Gedichtform oder als Kurzprosa ruhig oder aber atemlos und lautstark präsentiert wurden. Nicki Schuck aus Mainz warb mit ihrem nachdenklichen Text für mehr Akzeptanz unter den Menschen. 
Das Thema Liebe und damit einhergehende Unsicherheiten behandelten Ole Bechthold, Veronika Hoffman, Lucia Gauss und Laura Roser, während sich Isobelle June in ihrem Text mit dem gesellschaftlichen Druck auf den Einzelnen beschäftigte. Für mehr Wagemut im Leben plädierte Jonas Elpelt. Bühnenkünstler „Mega Martin“ beschwor die Macht des Lesens und der Fantasiewelten. 
Lokalmatador Hartmut Blaum beschrieb in seinem Beitrag die Veränderungen einer Person, die diese im Laufe des Tages vollzieht – vom Verkehrsrowdy, der auf dem Weg zur Arbeit Kleinwagen mit Lichthupe von der Fahrbahn jagt, über den selbstgefälligen Fitnessstudio-Besucher bis hin zum pseudo-linkspolitischen Kaffee-Trinker, der erst am Ende des Tages sich selbst gehört. Nachdenklich war der Vortrag von Artem Zolotarov, der – den AfD-Sprecher Björn Höcke vor Augen – über die träge Angstgesellschaft und Hassparolen brüllende Demagogen sprach. 
Für Lacher sorgte der Kabarettist und Vize-Hessenmeister „Gax“ Axel Gundlach, der Ortsnamen zu einem abstrusen Text zusammenfügte. Stoisch und urkomisch berichtete Marten de Wall – Stadtmeister im Kibotu (Kinderbodenturnen) – vom Studentenleben und dass nichts mehr nerve, als wenn man an einem Samstagmittag aufwache und merke, dass Dienstag sei. 
De Wall schaffte es gemeinsam mit Luisa Münch schließlich ins Finale. Münch hatte das Publikum mit ihrem gefühlvollen Vortrag des Textes „Wortgewalt“ begeistert, in dem es um die Macht schöner, aber auch schrecklicher Worte ging. Münch setzte sich schließlich durch und wurde per Applaus zur Siegerin des zweiten Kelsterbacher Poetry-Slams gekürt. Vom VBW gab es dafür eine Spardose in Form einer goldenen Ananas.
Beim Publikum kam auch die zweite Auflage der Veranstaltung bestens an. „Das war wieder super. Ich war schon im letzten Jahr da“, sagte Berit Kapiske. Poetry Slam könne Denkanstöße geben. Auch im nächsten Jahr sollte es unbedingt wieder einen Dichterwettstreit in der Bibliothek geben – das fand zumindest Berit Kapiske. (nad)

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