Erst der Pfarrer, dann die Kirche

In der Friedensgemeinde läuft irgendwie alles anders, und das seit 40 Jahren

DER CHOR an der Friedensgemeinde sang vom Frieden im westlichen Stadtteil. (Foto: Postl)

Kelsterbach. Noch können sie feiern und lachen, die Mitglieder der evangelischen Friedensgemeinde. Am Wochenende wurde mit einem Jubiläumsgottesdienst mit Pröpstin Gabriele Scherle das 40-jährige Bestehen der Gemeinde gefeiert. Der Fortbestand der Friedensgemeinde liege weniger „in Gottes Hand“, sondern hänge vielmehr am „finanziellen Faden“, gab die Pröpstin in ihrer Predigt zu. Doch man solle sich nicht so viele Sorgen machen, Gott werde schon für den rechten Weg sorgen, machte sie den Gemeindemitgliedern Mut.
 

Glückwünsche gab es von Dekan Kurt Hohmann und Kelsterbachs Bürgermeister Manfred Ockel, der die Friedensgemeinde als einen besonderen Ort bezeichnete, der allen, gleich welcher Herkunft, seit 40 Jahren offen stehe. Sabine Hörauf von der evangelischen Christuskirchengemeinde dankte Pfarrer Joachim Bundschuh für sein Engagement. Obwohl er jeweils mit einer halben Stelle in der Stadtkirche in Offenbach und in der Friedensgemeinde beschäftigt sei, habe er die Gemeinde „nie halbherzig“ betreut.
Wie es vor 40 Jahren überhaupt zur Gründung der Friedensgemeinde kam und wie es mit ihr in Zukunft weitergehen könnte, das zeigte die eigens zum 40-jährigen Bestehen ins Leben gerufene Theatergruppe auf recht humorvolle Art und Weise. Ursprünglich brauchte man nämlich nur einen neuen Kindergarten für die vielen jungen Familien, die sich im Westen der Stadt zu beiden Seiten der Bahntrasse ansiedelten. Also musste eine Kirchengemeinde als Träger eines solchen Kindergartens her – so brachten es die Kabarettisten auf den Punkt. Unter dem Motto „Tief im Westen, wo die Sonne versinkt“ präsentierten sie einen humorvollen kabarettistischen Streifzug durch die Geschichte der Friedensgemeinde.
Die zehn Laiendarsteller ließen die Ereignisse meist „uff Hessisch“ noch einmal Revue passieren. Am 1. Juli 1972 wurde zunächst die evangelische Kirchengemeinde „Kelsterbach-West“ gegründet, aber sie hatte noch keinen eigenen Pfarrer und wurde zunächst vom damaligen Vikar der Christuskirche, Pfarrer Gerd Borck, betreut. Im November 1973, die Planungen für einen Kindergarten waren bereits voll im Gange, erhielt die Kirchengemeinde nach der Ausschreibung eines Wettbewerbs den Namen „Friedensgemeinde“. Es gab sogar Gedankenspiele das ganze neue westliche Viertel in „Friedensviertel“ umzubenennen, doch dazu kam es nicht.
„Freedom is coming, oh yes, I know“, intonierte der Chor an der Friedensgemeinde – und das Publikum schmunzelte. Im Stück ging es weiter mit den Räumlichkeiten: In der benachbarten Turnhalle der Rudolf-Stein-Schule wurde in der ersten Zeit alles gefeiert, vom Gottesdienst bis zu den ersten Gemeindefesten. Recht verdutzt war denn auch der der Abgesandte „Dr. Suches“ von der Kirchenverwaltung, als er die Kirche der Friedensgemeinde besuchte. „Ei, die werd doch erst gebaut – sie müsste des doch wisse!“, wies ihn eine Bürgerin zurecht.
Mit dem Lied „Ein bisschen Frieden“ wurde dann die Ära unter dem einzigen Vollzeit-Pfarrer, Dieter Johannsen, eingeleitet. Selbstkritisch gingen die Kabarettisten mit den Protesten um den Bau der Startbahn West in den 80er Jahren um – davon wollte man in Kelsterbach nicht allzu viel wissen. Als auf der Bühne drei Demon‧strantinnen auftauchten und Gleichgesinnte in Kelsterbach suchten, wurden sie von einem Gemeindemitglied zurechtgewiesen: „Für so was haben wir hier keine Zeit, wir sind froh, dass wir Frieden in unserer Gemeinde haben – und überhaupt, alles andere regelt der Bürgermeister.“
Nachdem der Pfarrer die Friedensgemeinde verlassen hatte, blieb die Stelle zehn Jahre lang unbesetzt. Dafür wurde das Gemeindehaus endlich fertig. Der Bau des Glockenturms sorgte dann noch für etwas Unfrieden. Anwohner klagten plötzlich über das laute Geläut – und so musste gedämmt werden.
Und wie wird es weitergehen mit der Friedensgemeinde? Nach Darstellung der Kabarettisten überaus erfolgreich. Die Friedensgemeinde geht eine Partnerschaft mit weiteren „religiösen Gemeinschaften“ in Kelsterbach ein und wird Mittelpunkt eines „Interreligiösen Zentrums“.
Zum Schluss wandelten die Kabarettisten sogar noch einen Ausspruch des Altbürgermeisters Fritz Treutel für ihre Zwecke leicht ab: Die Friedensgemeinde sei zwar gewollt, aber finanziell bald nicht mehr machbar. (pos)

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