Geschichte greifbar gemacht

Hunderte Bürger kommen zur Eröffnung des Horváth-Bildungszentrums

ZUR BEWEGENDEN ERÖFFNUNGSFEIER des Gedenk- und Bildungszentrums der Margit-Horváth-Stiftung kamen am Sonntag hunderte Besucher nach Walldorf, darunter auch Holocaustüberlebende und Verwandte der in dem KZ-Außenlager Natzweiler-Struthof inhaftierten Zwangsarbeiterinnen. (Foto: Schwappacher)

Mörfelden-Walldorf. Es ist ein imposanter Anblick, den das Gedenk- und Bildungszentrum der Margit-Horváth-Stiftung bietet. 45 Tonnen Stahl wurden für die massive Konstruktion über der Ausgrabungsstelle verbaut. Das Gebäude hat große Fensterelemente, außen sind Fotos zu sehen, aufgelistet sind die Namen von 1700 ungarischen Jüdinnen. Diese waren 1944 als Zwangsarbeiterinnen im KZ-Außenlager Natzweiler-Struthof auf Frankfurter Gebiet in direkter Nähe zu Walldorf inhaftiert und mussten auf dem Frankfurt Flughafen beim Bau einer Rollbahn helfen.

 Am Sonntag eröffnete die Horváth-Stiftung feierlich und unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit ihr Gedenk- und Bildungszentrum. Die bereitgestellten Sitzplätze reichten bei weitem nicht aus, einige Hundert Menschen waren in den Wald gekommen und verfolgten im Beisein der Holocaustüberlebenden Trude Simonsohn, Leslie Schwartz, Edith Erbrich und Eva Szepesi das Programm. Auch Angehörige der Lagerinsassen waren nach Walldorf gereist.
Mehr als zwei Stunden dauerte die Eröffnungszeremonie. Sowohl Verwandte der Zwangsarbeiterinnen als auch Teilnehmer der Ausgrabungen, von denen der Küchenkeller des Lagers über Jahre hinweg freigelegt wurde, kamen zu Wort. In den Kellerräumen, von denen nicht viel mehr als das Fundament übrig geblieben ist, wurden die Frauen regelmäßig misshandelt und brutal geschlagen. Den Folteralltag stellten Schüler der Ricarda-Huch-Schule aus Dreieich szenisch nach und schilderten die Geschichte des Lagers.
Beteiligt waren außerdem Schüler der Bertha-von-Suttner-Schule, der Strothoff International School Sprendlingen sowie der Julius-Leber-Schule aus Frankfurt, die an die Besucher Steine verteilten. Auf diesen wurden dann die Namen der ehemals Inhaftierten geschrieben und im Keller abgelegt.
Das für mehr als 500 000 Euro errichtete Zentrum schützt das alte Fundament und soll darüber hinaus für Bildungsprojekte mit Jugendlichen genutzt werden. Für den Bau reichte das Stiftungsvermögen nicht aus, weshalb man auf Spenden und Sponsoren angewiesen war. Ihre Motive stellten die Hauptsponsoren in kurzen Dialogen mit Ausgrabungsteilnehmern vor. Der hessische Staatsminister Axel Wintermeyer (CDU) sprach für die Stiftung Flughafen und betonte, wie wichtig es sei, mit den nächsten Generationen über Krieg, Frieden und Rassismus zu diskutieren. Wintermeyer schloss mit einem Zitat des vor wenigen Tagen verstorbenen Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer: „Ihr seid nicht schuld an dem was war, aber verantwortlich dafür, dass so etwas nicht mehr geschieht.“
Etwa die Hälfte der Bausumme übernimmt die Stiftung Flughafen. Darüber hinaus beteiligt sich die Stadt Frankfurt an den Kosten, da das ehemalige KZ-Außenlager auf ihrer Gemarkung lag. Frankfurts Baudezernent Mike Josef (SPD) kam auf die lange jüdische Tradition der Mainmetropole zu sprechen, ohne die etwa die Goethe-Universität nicht gebaut worden wäre. Es gehöre zum Frankfurter Selbstverständnis, die Gräueltaten der Faschisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dem in ganz Europa erstarktem Antisemitismus gelte es, sich entschieden entgegenzustellen, so Josef.
Zu den weiteren Geldgebern zählen der Flughafenbetreiber Fraport sowie die Stadt Mörfelden-Walldorf. Bürgermeister Heinz-Peter Becker berichtete, dass er dabei nicht nur positive Erfahrungen mache. Immer wieder meldeten sich Bürger zu Wort, denen das Engagement der Stadt zu weit gehe und die einen Schlussstrich unter den Holocaust und NS-Zeit einforderten. „Das kann es aber nicht geben“, unterstrich Becker.
Das Zentrum der Horváth-Stiftung macht allein durch seine Architektur deutlich, dass hier kein Schlussstrich gezogen wird. Das von Heinrich Wagner entworfene Gebäude steht mit seiner schrägen Dachkonstruktion symbolisch für den aufgeklappten Waldboden, unter dem die Geschichte des Holocaust deutlich zutage tritt.
Die großen Fensterelemente sorgen dafür, dass der einstige Folterkeller auch von außen zu sehen ist. Betritt man das Gebäude, führt eine Treppe direkt zur Ausgrabungsstelle, die von den Bauarbeiten vollkommen unberührt blieb. So wurde ein authentischer Lernort geschaffen, der die Geschichte greifbar werden lässt. Ohne die Unterstützung der rund 500 Freiwilligen, die sich an den Ausgrabungen beteiligten, wäre das nicht möglich geworden, machte die Stiftungsvorsitzende Cornelia Rühlig deutlich. 
Im nächsten Jahr startet das Veranstaltungsprogramm des Bildungszentrums. Bis dahin dürften auch die letzten Arbeiten erledigt sein. So fehlen noch einige Elemente der Außenfassade, außerdem möchte die Stiftung das Dach bepflanzen und das Gelände rund um das Gebäude gestalten lassen. (seb)

Eigene Bewertung: Keine Durchschnitt: 5 (2 Bewertungen)

HerunterladenQR Code URL: https://www.freitags-anzeiger.de/21765


X