Erinnerungen an den Widerstand

30 Jahre Startbahn West: Zeitzeugen zogen bei Ausstellungseröffnung Bilanz

PROTEST ALS MODELL: Vor 30 Jahren hob der erste Flieger von der neuen Startbahn des Frankfurter Flughafens ab. Mit seinem Diorama „Startbahn West 1982“ erinnert der Modellbauer Matthias Schmeier an den Protest gegen die Flughafenerweiterung. Zu sehen war das Diorama erstmals zur Eröffnung der Startbahn-Ausstellung im Rathaus Walldorf. (Foto: Schwappacher)

Mörfelden-Walldorf. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den Bau der Startbahn West demonstrierten im November 1981 gut 150 000 Menschen in Wiesbaden. Regelmäßig waren Zehntausende rund um den Frankfurter Flughafen im Wald. Im April 1984 hob dennoch das erste Flugzeug ab.

Mit einem Rück- und Ausblick sowie der Eröffnung einer Ausstellung wurde nun im Rathaus Walldorf an den 30. Jahrestag der Inbetriebnahme erinnert. Ein Grund zum Feiern war das für keinen der knapp 150 Besucher. Dennoch freuten sich die Ausbaugegner über das Wiedersehen, auch wenn der Anlass nicht nur schöne Erinnerungen weckte.
Die Auseinandersetzungen um die Flughafenerweiterung prägten das Leben von tausenden Menschen und wirkten weit über die Region hinaus, sagte Herbert Debus in seinem persönlichen Resümee. Als einer der ersten Sprecher der Bürgerinitiative steckte er wie zahlreiche andere Aktivisten viel Kraft in den Kampf gegen die Startbahn 18 West.
Enttäuschung, Verbitterung und teils schreckliche Erinnerungen gehörten zur Protestbewegung dazu, betonte Debus. „Der Staat setzte seine Ziele damals mit allen Mitteln durch“. Dennoch sei vieles erreicht worden. Das Umweltbewusstsein ist gewachsen, und die Gründung von Bürgerinitiativen wurde zu einer Selbstverständlichkeit. Von der Größe der Bewegung profitierten andere Proteste, und umstrittene Projekte konnten verhindert oder aufgeschoben werden, führte Debus an.
 Auf Kritik stieß die damalige Berichterstattung in manchen Medien, die den Fokus auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen gelegt hätte. Immer wieder habe die Bürgerinitiative aber zur Gewaltlosigkeit aufgerufen. „Die Todesschüsse auf die beiden Polizisten waren dann auch die Todesschüsse für die Bewegung“, erklärte Debus.
Dass sich die Bewegung seit den Schüssen von 1987 wieder erholt hat und es noch immer Anlass zum Protest gibt, zeigte der Fotovortrag des Journalisten Walter Keber, der zusammen mit Dirk Treber, dem Vorsitzenden der Interessengemeinschaft gegen Fluglärm, die letzten Jahrzehnte Revue passieren ließ. „Es ist eine unendliche Geschichte“, sagte Keber und zeigte Bilder von Cargo City Süd und dem Bau der großen Flugzeugwartungshalle. „Das war ein Ausbau durch die Hintertür, der mittlerweile zur unheiligen Tradition geworden ist“, meinte Keber.
Im Frühjahr 2015 sei mit dem Baubeginn für das dritte Terminal der nächste Schritt zu erwarten, merkte Treber an. „Das muss unbedingt verhindert werden“.
Schon zu Beginn der Auseinandersetzungen war abzusehen, dass der Flughafen durch weitere Expansionsgelüste zu einem Dauerkonfliktpunkt wird, sagte Henner Gonnermann, den viele noch als kritischen Forstdirektor und BI-Mitglied kennen.
Über die letzten Jahrzehnte sei das Planungsrecht so verändert worden, dass Bürger sich bei Großprojekten schlechter zur Wehr setzen können, kritisierte Gonnermann. „Es sind Zustände wie im alten Rom“. Der oft beschworene Satz „Die Politik muss die Bürger mitnehmen“, sei lediglich eine Floskel. Von den Verantwortlichen werde der Satz so verstanden, dass protestierende Bürger eingepackt und dorthin getragen werden, wo die Politik sie gerne haben möchte, meinte Gonnermann.
Einfach machten das die Ausbaugegner der Staatsmacht damals nicht. Verdeutlicht wurde die Schärfe des Konflikts durch das eigens zum 30. Jahrestag angefertigte Diorama „Startbahn West 1982“ des Modellbauers Matthias Schmeier. Als Jugendlicher kam Schmeier aus dem Saarland mit dem Bus ins Rhein-Main-Gebiet und erlebte die Auseinandersetzungen rund um den Frankfurter Flughafen hautnah mit.
Heute arbeitet er als Lehrer und schafft durch seine Dioramen einen ungewöhnlichen Zugang zur Geschichte. „Oft haben Jugendliche kein Interesse an Texten. Wenn ich ihnen die Modelle zeige, fangen sie aber an, nachzufragen“. Im Rahmen der Fotoausstellung zeigt Schmeier weitere Dioramen, etwa vom spanischen Bürgerkrieg, die bis Anfang Mai im Rathaus Walldorf zu sehen sind. 
Nicht nur die vielen Bilder der Ausstellung erinnerten an alte Zeiten und ließen nostalgische Gefühle aufkommen. Zum Abschluss gab es Grießsuppe, die nach einem Rezept der damaligen Küchenbrigade, die für die Verpflegung der Demonstranten im Wald im Einsatz war, gekocht wurde. „Das Wichtigste ist, nicht aufzugeben und weiterzumachen“, betonte der Erste Stadtrat Franz-Rudolf Urhahn (Grüne), der als Moderator durch den Abend führte. (seb)

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