Wo Boateng einen Äppler serviert bekommt

Sogar über einen Sommertag konnte sich das Kerwevolk freuen

RUMMELPLATZVERGNÜGEN für Jung und Alt: Auf dem Kerweplatz wurde für alle Generationen das Passende geboten. (Foto: Friedrich)

Mörfelden-Walldorf. Der Auftakt war furios. Rund 500 Fans feierten mit der lokalen Rockband Orange Box bereits am Freitagabend in die Merfeller Kerb hinein. „Sensationell“, beschrieb Sänger Ralf Baitinger die Stimmung im Saal. 

Die Kerb, die auf die Weihe der evangelischen Barockkirche 1730 zurückgeht, hat heute viele Gesichter. Ihr markantestes zeigt sie auf dem Dalles, wohin die Merfeller Kerb 1998 zurückkehrte. Schon am Samstag drängte sich das Volk auf dem Rummelplatz. Als am Sonntag dann auch noch der Sommer kurzzeitig zurückkam, war der Andrang fast noch größer. 
Mehrere hundert Schaulustige hatten am Samstag Spaß beim Kerweumzug, der sich eineinhalb Stunden durch die geschmückten Straßen schlängelte. Je länger das feiernde Volk hoch auf dem Wagen, auf Fahrrädern oder Schusters Rappen durch die Straßen wogte, desto ausgelassener wurde die Laune. Drei Musikgruppen sorgten für Unterhaltung, diverse Kerweborschgruppen schmetterten ihre Lieder, die SKV-Radler rollten des Weges, die Hohlköpp zündeten Konfetti-Kanonen, und die Mörfelder Jugendwehr tanzte Zumba auf dem Straßenpflaster. Als der Zug, diesmal 26 Nummern stark, gen Dalles schwappte, herrschte Volksfeststimmung pur.
In gemäßigterem Tempo wurde hier das Kerweprotokoll abgearbeitet: Das Stellen des Baumes stand an.17 Meter Fichte hatte Kerwechauffeur Udo Jungmann mit seinem Trecker tuckernd zum Kulturhaus gezerrt. Am Stamm des Kerwebaums, so will es die Tradition, residiert auf dem Stuhl die Kerwebopp. Mit der Wahl ihres Charakters, nun war es unschwer zu erkennen, nahm das muntere Abwatschen der Walldorfer Nachbarn seinen Lauf: Die Bopp 2016 war ein Walldorfer. In luftiger Höhe des mit großem Hauruck in die Senkrechte beförderten Baumes thronte sie – den Kopf unglücklich verborgen hinter dem Kerwekranz. 
Lapsus hin, Kerwebopp her, der guten Laune tat’s keinen Abbruch, das Freibier floss bereits in Strömen, und Kerwevadder Thorsten Christoph stieg zur gefürchteten Kerweredd‘ auf die Leiter. Bleibt zu hoffen, das die anwesenden Karnevalisten der Sandhasen den jungen Mann gleich als Protokoller für die Fastnacht angeworben haben – der Vadder zog brillant vom Leder. 
Der Streifzug im Merfeller Dialekt führte vom geplanten sozialen Wohnungsbau auf dem Festplatz bis zur Wahl nach „Amiland“. „Die Kandidade nur zwoo an der Zahl. Der aane Choleriker und offene Rassist, die anner lässt schleechte E-Mail veschwinde“, wetterte Christoph von der Leiter. 
In England abgeguckt haben sich Mörfeldens 22 Kerweborsch den Volksentscheid. Statt Brexit heißt die Maxime vor Ort Waxit: „Merfelle ohne Walldorf, des wär de Clou – kurz abgestimmt und die arm Seel hat Ruh.“ Eine Lanze brach man hingegen für Toleranz und Solidarität („von Populisten und Rassismus hammer bei de Kerweborsch Abstand genomme“). Und während sich Mörfeldens freche Borsch von Walldorf abnabeln möchten, öffnen sie Neubürgern Tür und Tor: „E Häusche wär fürn Boateng schnell organisiert – unn uff de Kerb krescht er san erste Äppler serviert.“
Während in der Redd’ des Kerwevadders kaum einer ungeschoren davonkam, war es am Goldenen Apfel versöhnlicher. Schon früh wurden Plätze im Open-Air-Café eingenommen – die Bäckerinnen des Kerwevereins hatten sich mit süßen Sünden selbst überboten. Krönung des Kuchen- und Tortenbüfetts war die Torte mit dem zuckersüßen heimischen Wappen. 
Auf dem Rummelplatz war insbesondere die Jugend nicht zu stoppen. Vom Riesenrad bot sich in 17 Metern Höhe eine tolle Aussicht über die Heimat – im Autoskooter ging man auf Kollisionskurs. 
„Die Merfeller Kerb is do“, das größte Heimatfest in Mörfelden ist für Schaustellerin Dagmar Spagerer ein Anlass, in Erinnerungen an die Kindheit zu versinken. Während sie Fahrten für den Autoskooter verkaufte, erzählte die ältere Dame: „In Mörfelden bin ich als kleines Mädchen sogar zur Schule gegangen. Damals war die Kerb noch auf dem Festplatz.“ Als Tochter des Schaustellers Werner Hofmann reiste man ständig umher, die Kinder lernten in den Schulen am jeweiligen Standort des Fahrgeschäfts. Der Merfeller Kerb ist Dagmar Spagerer in besonderer Weise verbunden – und wenn sie einmal den Dienst quittiert, werden ihre Kinder das Fahrgeschäft übernehmen und in dritter Generation am Dalles den Autoskooter aufbauen. (ula)

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