Ein Teamplayer geht von Bord

Nach sechs Jahren verlässt der Erste Stadtrat und eingefleischte HSV-Fan Kurt Linnert das Rathaus

 DAS KELSTERBACHER RATHAUS lässt Erster Stadtrat Kurt Linnert bald hinter sich. (Foto: Scherer)

Kelsterbach. Ein Vollblutpolitiker, der in Debatten Mitglieder anderer Parteien verbal angreift und bei Redebeiträgen unter die Gürtellinie geht, sei er nie gewesen. „Das ist nicht meine Art“, sagt Kurt Linnert (SPD). Er habe eher ausgleichend gewirkt, er habe die Menschen überzeugen wollen. Am 30. September geht der Erste Stadtrat und Kämmerer in den Ruhestand, nach mehr als sechsjähriger Amtszeit. Einen hauptamtlichen Nachfolger wird es nicht geben, die Stadt muss sparen.

Eigentlich wäre am 15. Mai schon Schluss gewesen für Linnert. Da einige wichtige Projekte anstanden, die er noch auf den Weg bringen beziehungsweise erledigt wissen wollte, darunter das Integrationskonzept, die Planungen für den Neubau einer Kita sowie den der Karl-Treutel-Schule im Länger Weg und die Einrichtung der Tafel, verlängerte das Stadtparlament seine Amtszeit um viereinhalb Monate.
Kurt Linnert hätte gerne noch einige Jahre als Erster Stadtrat in seiner Wahlheimatstadt gewirkt. Doch dem steht die städtische Finanzlage entgegen: „... die Einsparung dieser Stelle ist ein finanzieller Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, den man nachvollziehen kann“, betont er im Gespräch mit dem Freitags-Anzeiger. Auf eine offizielle Abschiedsfeier verzichtet er also. Da Kelsterbach sparen müsse, trage er das seine dazu bei. Nur ein gemeinsames Essen mit dem Magistrat habe er sich gewünscht.
Die Entlassungsurkunde wird Kurt Linnert in der Stadtverordnetensitzung am 28. September überreicht.
Die viele Jahrzehnte lang finanziell weich gebettete Untermainstadt muss sparen, darauf hat der gelernte Sparkassen-Betriebswirt auch vor dem Stadtparlament immer und immer wieder hingewiesen. Anfangs gab es dort durchaus andere Meinungen, auch im eigenen Lager. Doch gerade während Linnerts Amtszeit stieg das jährliche Haushaltsdefizit an, keine schönen Jahre für einen Kämmerer. Große Gewerbesteuerzahler fielen weg, Ticona tat besonders weh. Die Vorteilsausgleichzahlung für den einstigen Kelsterbacher Wald durch die Stadt Frankfurt ist heute ebenfalls keine verlässliche Einnahmequelle mehr. Dazu kommt, dass Kelsterbach, bedingt durch die neuen Baugebiete, wächst; die Stadt muss in Infrastruktur, in Schulen und Kitas investieren. Das kostet.
Die Opposition schlachte diese Entwicklung aus, sagt Linnert, schlage aber aus wahltaktischen Gründen selbst keine konkreten Sparmaßnahmen vor. Das sei eben Teil des politischen Spiels, denkt der 62-jährige Politiker laut über die Situation im Parlament wenige Monate vor den Kommunalwahlen nach.
Politik, ach Politik: Im Dezember letzten Jahres war es mal kurz vorbei mit der Sachlichkeit im Parlament. Die Diskussion um die Erhöhung der Grundsteuer B wurde immer hitziger. Letztendlich wurde dem Kämmerer Lüge vorgeworfen. Da habe selbst er einmal Dampf ablassen müssen, so Linnert. Im Gespräch erinnert er noch einmal daran, dass den Nicht-Schutzschirmkommunen diese Erhöhung vom Land Hessen vorgegeben wurde, verbunden mit der Auflage, bis 2017 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Aber es war ja schließlich seine Entscheidung, die politische Arena zu betreten. Vor sechs Jahren kandidierte Linnert für das Amt des Ersten Stadtrats, weil er eine neue anspruchsvolle Herausforderung suchte. Am 15. Mai 2009 wurde er gewählt. Zuvor war er mehr als 40 Jahre für die Kreissparkasse Groß-Gerau tätig. Der nun hauptamtliche Politiker verstand und versteht sich weiterhin als „typischer“ Sparkassenmensch, als ein Dienstleister, der den Menschen zuhört und hilft.
 Geboren wurde das Flüchtlingskind Kurt Linnert 1952 auf einem Bauernhof im Gernsheimer Stadtteil Allmendfeld. Die Eltern kamen aus Breslau. Nach der Schule beginnt Linnert eine Lehre bei der Kreissparkasse, wo er eine gute Ausbildung erhält, die ihn dazu befähigt, ab 1982 die Filiale Kelsterbach zu leiten, zehn Jahre später wird er zum Sparkassendirektor für Rüsselsheim, der größten Stadt im Kreis, und Umgebung ernannt. Zu seinem Bereich gehören auch Kelsterbach und Mörfelden-Walldorf, zweitgrößte Stadt des Landkreises Groß-Gerau. Zudem vertritt er die Bediensteten der Kreissparkasse in deren Verwaltungsrat.
Linnert wird und bleibt Kelsterbacher. Hier zieht es ihn auch in die Kommunalpolitik. Genau gesagt ist es der damalige Bürgermeister Fritz Treutel, der ihn für die SPD gewinnt. 1985 wird er Stadtverordneter, später Stadtrat, Mitglied des Magistrats. Eine Legislaturperiode lang, bis 2006, ist er Stadtverordnetenvorsteher, danach wechselt er wieder in den Magistrat. Seit 2011 gehört Linnert dem Kreistag an.
Seine Partei, die SPD, stehe für glaubwürdige Werte und habe das in den letzten Jahrzehnten stets bewiesen. „Unter der Regie der SPD hat sich Kelsterbach zugunsten der Menschen, die hier leben, sehr gut entwickelt“, sagt der scheidende Erste Stadtrat.
Mit der Kommunalwahl 2011, mit deren Ausgang so niemand rechnete, kam die Zäsur. Die anderen Fraktionen schlossen gegen die SPD ein Bündnis. Er selbst, so Linnert, habe damals die Bildung einer großen Koalition befürwortet, dies sei jedoch an Befindlichkeiten gescheitert. Die Partei, die sich später als Partner der SPD anbot und dies auch eine Zeitlang war, war für Linnert kein Wunschpartner. „Wie so etwas enden kann, haben wir ja alle erlebt.“
Unklare Mehrheitsverhältnisse, und die gab es zuhauf in dieser Legislaturperiode, machten dem Kämmerer, der den städtischen Haushalt auf den Weg zu bringen hat, die Arbeit nicht leicht. Die Verabschiedung des Etats 2015 sei nur gelungen, weil bei der Abstimmung Parlamentarier der Opposition fehlten, so der Erste Stadtrat, der sich als leidenschaftlicher HSV-Fan über einen Mangel an knappen Entscheidungen und kleinen Dramen nicht beschweren kann.
Eine echte Herausforderung für die nächsten Jahre sieht Linnert in der Haushaltskonsolidierung. Die jährlichen Ausgaben von über 40 Millionen Euro gehörten auf den Prüfstand, damit künftig Haushalte ohne Einflussnahme des Regierungspräsidiums genehmigt werden könnten. Um die Einnahmen sorgt er sich nicht. Mittelfristig würden sich die Erträge erholen, wenn die Gewerbegebiete erst einmal voll besiedelt seien, ist er sich ganz sicher.
Auch die Schulträgerschaft – ein großer Posten im Haushalt – sollte laut Linnert beibehalten werden. Wie andere freiwillige Leistungen werde diese Ausgabe häufig kritisch betrachtet. „Auch die Schulen haben mittlerweile verstanden, dass wir sparen müssen – und das kann man nur gemeinsam“, betont Linnert, der als Dezernent für Schulen, Sport, Kultur und Soziales zuständig ist. Während seiner Dienstzeit wurde das Projekt „Kelsterbach Familienstadt“ mit vielen Angeboten auf den Weg gebracht. Gemeinsam mit dem Caritasverband wurde das Beratungsangebot für Demenzkranke ausgebaut, Schulsozialarbeiter an den Grundschulen installiert und das Betreuungsangebot der Kitas und Schulen erweitert.
Linnert ist stolz auf seine Mitarbeiter, auf alle städtischen Mitarbeiter, die sich trotz Personalengpässen außergewöhnlich engagierten und mit denen er immer vertrauensvoll zusammengearbeitet habe. Motiviert hätten ihn gelungene Projekte, wie die neue Kita in der Friedensgemeinde oder die farbenfrohe Schulkindbetreuung an der Karl-Treutel-Schule, die jeweils von einem engagierten Betreuungsteam geleitet werden und gut ankommen.
„Dauerbrenner“, so sagt er, bleibe das Thema Asyl und die Unterbringung der Menschen. Für die erwarteten 150 Flüchtlinge in Kelsterbach gründete Linnert einen „Runden Tisch“ und baute gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern eine Willkommenskultur mit Deutschkursen, Kleiderkammer und einem Begegnungscafé auf.
Es sei ihm auch wichtig, in sozialen Dingen die Bevölkerung zu informieren und zu sensibilisieren, so Linnert. Eine Frage werde sein, wie man mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen umgehe, die Asyl erhielten und ihre Familien nachholen dürften. Hier sei der Bund gefordert, die Kommunen finanziell zu unterstützen und den sozialen Wohnungsbau zu fördern.
Wie es nach dem 30. September politisch mit dem scheidenden Ersten Stadtrat weitergeht, lässt er offen. Sein „politisches Ende“ sei für ihn nicht überraschend gekommen, sondern habe der vor sechs Jahren getroffenen Vereinbarung entsprochen. Diese habe eine Amtsperiode vorgesehen, unabhängig vom Erfolg der Arbeit. Für die Kommunalwahl 2016 wirft Linnert seinen Hut in den Ring und lässt sich von der SPD als Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung aufstellen.
Dank sagte Linnert seiner Frau Heidi. Seine Arbeit als Erster Stadtrat habe er nur machen können, weil seine Frau viel Verständnis gezeigt und vieles mitgetragen habe. Und letztendlich, auf die faule Haut möchte er sich nicht legen. Für den gelernten Sparkassen-Betriebswirt ergibt sich bestimmt eine Gelegenheit, auf seinem Gebiet, bis hin zum Immobilienmarkt, aktiv zu werden. (nad)

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