3099 Stimmen gegen mehr Stadträte

Bürgerbegehren macht der Koalition Dampf – Wagner: „Ein echter Selbstläufer“

EIN KOFFER voll mit Listen, Sektflaschen, die die Zahl der Unterschriften gegen zusätzliche Stadträte tragen, ein Transparent das Dampf verspricht: Mit diesen Utensilien ausgestattet, präsentierten sich die Vertrauenspersonen für das Bürgerbegehren samt Unterstützer am Kelsterbacher Rathaus, vor Abgabe der Stimmen an den Bürgermeister. (Foto: Postl)

Kelsterbach. Die Zahlen, auf vier Sektflaschen geschrieben, zeigen es kühl an: 3099 Bürgerinnen und Bürger sind gegen den Beschluss des Parlamentes, zusätzliche Stadtratsstellen zu schaffen. Die Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens gegen zusätzliche Stadträte in Kelsterbach, Eleonore Wagner, Paul Stein und Stefanie Riedel, übergaben die mehr als dreihundert Listen mit den Unterschriften am Montag im Magistratszimmer an Bürgermeister Manfred Ockel und Oberamtsrat Stefan Weikl.
 

Eine Zahl, die für alle Fraktionen beeindruckend sein wird, zog Eleonore Wagner erste Bilanz des Bürgerbegehrens. Das Sammeln der Unterschriften sei ein echter Selbstläufer gewesen. Wagners warnender Hinweis auf die hohe Zahl der Stimmen folgte der mahnende von Paul Stein, 3099 Unterschriften seien mehr als 60 Prozent der Wählerstimmen der letzten Kommunalwahl (etwa 4490).
Ockel zeigte sich beeindruckt und machte deutlich, dass alle Fraktionen, ob sie der Satzungsänderung zugestimmt hätten oder nicht, diese Zahl nicht ignorieren könnten.
Vorausgegangen war dem Bürgerbegehren ein Stadtverordnetenbeschluss, die Hauptsatzung zu ändern. Die SPD und ihr Koalitionspartner FW (Freie Wähler) wollten dadurch zwei weitere Stadtratsstellen schaffen, eine hauptamtliche und eine ehrenamtliche. Nachdem dagegen ein Bürgerbegehren anlief, wartete die Stadt erst einmal das Ergebnis ab und änderte die Satzung noch nicht. Die Satzung gilt erst dann als geändert, wenn der Beschluss des Parlamentes veröffentlicht wird. Das ist bisher nicht geschehen.
Das Bürgerbegehren läuft immer noch. Bis zum 19. August können die Vertrauensleute Stimmen im Rathaus abgeben – und wollen es auch tun. Heute früh, so Wagner am Montag, habe sie noch Stimmlisten im Briefkasten vorgefunden. Da hatten sie und Helfer schon einen ganzen Nachmittag gezählt und gerechnet. Keine einfache Sache, befand Wagner, aber bei so vielen Stimmen zähle man auch gerne noch einmal mehr nach.
Für ein Bürgerbegehren werden zehn Prozent der Stimmen der wahlberechtigten Bürger benötigt, etwa 980. Zieht man von den bisher eingegangenen 3099 Unterschriften nach Prüfung durch das Wahlamt die ungültigen ab, wird dennoch eine beachtliche Zahl stehen bleiben, hoch genug, dann auch die 25 Prozentmarke eines Bürgerentscheides zu knacken. Bei einem Bürgenentscheid müssen ein Viertel der Wahlberechtigten zur Urne gehen, damit er gültig ist. An dieser Hürde scheiterte der letzte Bürgerentscheid gegen den Verkauf des Kelsterbacher Waldes.
Zum Rathaus brachte Wagner die Listen in einem über hundert Jahre alten Köfferchen, mit dem ein Familienmitglied 1925 nach Amerika ausgewandert war und das durch glückliche Fügung wieder nach Kelsterbach fand. Nach einem Foto vor dem Rathaus, wo die vier Sektflaschen mit den Zahlen und das Köfferchen eine große Rolle spielten, schritt man zur Übergabe der Listen an den Bürgermeister.
Im Magistratszimmer wurden dann aber auch Punkte angesprochen, die eher die Fraktionen betrafen und weniger die Stadtverwaltung und den Magistrat. Über alle Parteigrenzen hinweg, so Wagner auch in einer Pressemitteilung, habe man große Zustimmung erfahren. Man habe aber auch den Ärger und das große Unverständnis der Kelsterbacher über eine derartig unsinnige Personalentscheidung erlebt, die die Stadt in dieser Form nicht brauche.
Dass es soweit kommen musste, lastet Wagner der neuen Koalition an, die die Schaffung der neuen Stelle vereinbarte.
Das Bürgerbegehren werde nicht nur aus Protest gegen die Schaffung der kostenintensiven hauptamtlichen Stelle so stark unterstützt, es gehe dabei auch um „Namen“, so Wagner. Der Name wurde bei der Übergabe der Listen nicht genannt, aber ansonsten überall in der Stadt und besonders in Gesprächen am Stand der Bürgerinitiative.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit sollte die hauptamtliche Stelle für den Vorsitzenden der Freien Wähler, Ayhan Isikli, geschaffen werden. Zumindest wurde sein Name als Kandidat gehandelt – aber selbst Parteimitglieder der SPD möchten sich nicht hinter diesen Kandidaten stellen, lehnen ihn teilweise sogar offen ab. Es war der Name, sagte daher Wagner bei der Übergabe voller Überzeugung.
Wagner kann sich eine Zusammenarbeit im Parlament mit der SPD durchaus vorstellen. „Ich bin für wechselnde Mehrheiten.“ Nur solle sich die SPD abgewöhnen, die Katze im Sack zu verkaufen, das heißt, ein Paket ihrer Absichten und ihres Wollens ohne die anderen Fraktionen zu schnüren, und dann nur über dieses, ihr Paket abstimmen lassen zu wollen.
In der Presseerklärung der Bürgerinitiative „Für ein lebenswertes Kelsterbach“ spricht Wagner von einem Votum an die Koalitionsparteien für einen neuen, offenen und ehrlichen Stil der Entscheidungsfindung und gegen intransparente Klientel- und Hinterzimmerpolitik, die die SPD über 60 Jahre gewohnt sei. Nun glaube sie, diese mit Hilfe der Freien Wähler um jeden Preis wieder herstellen zu müssen.
Die Stadt muss die Fragestellung zum Bürgerbegehren rechtlich prüfen lassen. Über ein Ergebnis könne man in etwa zwei Wochen sprechen, erklärte Ockel auf Anfrage des Freitags-Anzeiger. Vor dieser Prüfung habe sie keine Bedenken, erklärte Wagner. Sollten rechtliche Gründe einem Bürgerentscheid entgegenstehen, sei der moralische Auftrag von 3099 Stimmen des Bürgerbegehrens so groß, dass ihn niemand mehr ignorieren könne. Das schien Bürgermeister Ockel ebenso zu sehen. Nach dem Urlaub der Stadtverordnetenvorsteherin Helga Oehne werde er mit ihr über eine Sitzung des Ältestenrates sprechen, bei dem alle Fraktionen mit den Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens gemeinsam die Lage erörtern sollen.
Der Chef des Wahlamtes, Stefan Weikl, will derweil mit der Auswertung der Unterschriftslisten beginnen, so dass nach Ablauf des Bürgerbegehrens am 19. August die Zahl der gültigen Stimmen schnell feststeht und der Weg frei sein wird für einen Bürgerentscheid. Wenn, ja wenn sich nicht die Koalition, oder ein Teil davon – nach diesem überzeugenden Bürgervotum – gegen die von ihr beschlossene Änderung der Hauptsatzung ausspricht und sie zurücknimmt. Dann wäre der Bürgerentscheid nicht mehr nötig.
Die Hauptsatzung könnte dann aber schon kurze Zeit später wieder mit Mehrheit zugunsten zusätzlicher Stadträte geändert werden, was Eleonore Wagner nervös macht und sie veranlasste zu äußern, dann würde es wieder ein Bürgerbegehren geben. (wn)

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